Die Zukunft der Lufthansa Flotte – im Gespräch mit Jens Ritter
Der Kranich feiert im kommenden Jahr seinen 100. Geburtstag. Grund genug für Lufthansa Airlines CEO Jens Ritter, im Interview mit AERO Mitarbeiter Jens Flottau und Herausgeber Dietmar Plath, auf die Herausforderungen der Zukunft zu schauen.
Flottenmodernisierung mit der 777X und der 787
AERO INTERNATIONAL: Für die Flottenerneuerung der Lufthansa spielt die 777X eine entscheidende Rolle. Wie steht es aktuell um den Liefertermin?
Jens Ritter: Wir freuen uns auf die 777X, sie ist ein Meilenstein für unsere Flottenentwicklung, und wir brauchen sie auch. Und ich bin davon überzeugt, dass sich die Geduld auszahlt. Aktuell planen wir mit einer Auslieferung des ersten voll zertifizierten Flugzeugs rund um den Jahreswechsel 2026/27, was sich zumindest aktuell auch mit den Aussagen von Boeing deckt. 2027 soll das Flugzeug dann für Lufthansa fliegen, was ich derzeit auch für realistisch halte.
Sie bekommen die 777X, aber auch endlich viele 787. Wie läuft das Pilotentraining?
Die Verzögerung in der Auslieferung hat uns schon vor große Herausforderungen gestellt. Wir betreiben bis dato fünf 787, hatten aber Crews für mehr als acht Flugzeuge geschult. Das bedeutet, die Crews wurden selten eingesetzt, was natürlich nicht effizient und produktiv war. Einige Kolleginnen und Kollegen mussten wir auf die 747 zurückschulen und beide Ratings aufrechterhalten. Nun hat sich die Situation aber verbessert.
Die ersten neuen 787 sind endlich in Frankfurt, und bis Ende des Jahres werden noch einige dazukommen. Unsere Crews für die Boeing 787 schulen wir aktuell auf der Strecke zwischen Frankfurt und München, was unsere Gäste auf diesen Flügen natürlich begeistert. Anfang 2026 werden wir dann alle drei bis vier Wochen eine weitere 787 erhalten. Das Einflotten ist ein Kraftakt. Pro Flugzeug kommen wir da auf rund 400 Arbeitsstunden. Aber es lohnt sich, vor allem natürlich für unsere Gäste.
Wo kommen die Piloten her?
Hauptsächlich von der A330/A340 sowie der Boeing-747-Flotte. Es wird zukünftig auch ein Doppelrating für die Boeing 777 und die 787 geben, genauso wie bei Airbus mit der A350 und der A380. Nicht zu vergessen: Wir erhalten auch noch zehn neue Airbus A350-1000. Und was die Positionierung angeht, so hat die 747 mit knapp 20 Flugzeugen in Frankfurt ihr Zuhause. Zusätzlich planen wir auch mit mindestens zehn Airbus A350 in Frankfurt, damit wir zwischen Frankfurt und München leichter tauschen können, wenn nötig.
Wohin sich die Lufthansa Flotte technologisch entwickelt
Richtig neue Flugzeugmodelle sind aber nicht in Sicht, erst recht nicht bei den Langstrecken?
Stimmt. Zum ersten Mal flotten wir mit der 777X einen neuen Langstreckenjet ein, ohne dass ein weiteres Langstreckenmuster bei den Herstellern in Planung wäre. Wir hoffen aber, dass die Entwicklung weitergeht. Wir waren in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Erstkunde bei der Einführung neuer, zukunftsweisender Flugzeuge. Das wollen wir auch in Zukunft sein.
Langfristig könnten auch elektrisch oder mit Wasserstoff beziehungsweise Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technologie betriebene Flugzeuge zur Nachhaltigkeit beitragen. Wann und ob diese Technologien für große Passagier- und Frachtflugzeuge ausgereift und wirtschaftlich tragfähig entwickelt werden können, ist aktuell noch nicht absehbar.
Hat die Lufthansa Interesse am Airbus A321XLR?
Das Flugzeug passt derzeit nicht in unsere Hub-and-Spoke-Strategie in Frankfurt und München. Und sie nur auf einzelnen Strecken einzusetzen, ist auch nicht vorgesehen, zumal wir dann auch mehr Flugzeuge dieser Art bräuchten. Wir vollziehen aktuell die größte Flottenmodernisierung unserer Geschichte und erwarten bis Ende 2028 insgesamt 54 neue Langstreckenflugzeuge, die schon vor Jahren bestellt wurden und nun endlich ausgeliefert werden. Das Ziel ist eine einheitlichere Flottenstruktur mit höherer Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit.
Jetzt kommen endlich die neuen Muster, welche Flugzeuge werden dann zuerst ausgemustert?
Derzeit ist geplant, dass uns die Boeing 747-400 Ende 2027 verlässt, die Airbus A340 300 wird 2027 voraussichtlich ebenfalls nicht mehr bei uns fliegen. Aber wir behalten uns eine flexible Reserve für 2027 vor, falls es noch einmal Verzögerungen bei der 777X gibt, was ich natürlich nicht hoffe.
Der Weg der Lufthansa zu einer schlankeren Flotte
Und die A340-600?
Für die Airbus A340-600 gibt es weltweit kaum noch Ersatzteile. Wir haben beispielsweise nahezu alle verfügbaren Bremsen als Reserve für uns gekauft. Das ist schon eine Herausforderung. 2026 werden wir noch mit bis zu drei Airbus A340-600 fliegen, je nachdem, wie schnell zusätzliche Boeing 787 zu uns kommen. Aktuell sind es noch sechs. Bei der A340-300 haben wir noch mehr Spielraum.
Aber auch bei diesem Modell werden wir nächstes Jahr vier Flugzeuge weniger einsetzen. Die Airbus A330 werden bis 2027 von Discover Airlines und Brussels Airlines übernommen. Ziel ist es dann, 2028 von neun Langstreckenmustern auf fünf zu reduzieren und nahezu auf jedem Langstreckenflug das neue Allegris-Produkt oder das Äquivalent in der Business Class mit All-Aisle-Access anbieten zu können.
Die A340-600 und die 747 sind sehr in die Jahre gekommen. Wie problematisch ist das im Alltag?
Die Flugzeuge sind technisch in einem Top-Zustand. Der Aufwand dafür ist aber nicht zu unterschätzen. Ich bin sehr froh, dass wir mit Lufthansa Technik und dem Lufthansa Technical Fleet Management die besten Experten weltweit in den eigenen Reihen haben. Zum Teil bauen wir Ersatzteile nach – zum Beispiel Türaufhängungen oder Kabelbäume für die 747-400.
Wir haben einen eigenen sogenannten Part-21-Betrieb, sodass wir selbst Teile zulassen können. Natürlich haben wir auch mehr Reserven vorgehalten, was sehr teuer ist. Jetzt haben wir den Flugbetrieb wieder stabilisiert und fliegen sehr zuverlässig. Wir werden daher nächstes Jahr die Reservequote um mindestens 25 Prozent senken, um die Produktivität zu erhöhen. Keine Airline kann dauerhaft mit 20 Prozent Reserven operieren.
Die neuen 787 werden auf Strecke geschickt, aber die Business Class ist immer noch nicht zugelassen. Wie soll das gehen?
Seit dem 9. Oktober fliegen wir mit der neuen Boeing 787 nach Toronto, und darüber freue ich mich sehr. Damit bieten wir auch ab Frankfurt die Allegris-Kabine an. Die Business-Suiten sind zertifiziert, und wir verkaufen sie auch. 24 Sitze sind aktuell noch geblockt. Aber auch hier machen wir Fortschritte. Ich gehe davon aus, dass bis zum Jahreswechsel alle noch offenen Punkte geklärt werden und dann auch alle Sitze in der Business Class von unseren Gästen genutzt werden können.
Ist die Flotte das größte strukturelle Problem der Lufthansa?
Ohne die Flottenmodernisierung könnten wir nicht wettbewerbsfähig sein. Deshalb ist sie so extrem wichtig für uns. Gästezufriedenheit, Crewproduktivität, Technik, Stationen, Effizienz, Zuverlässigkeit – sehr viel hängt damit zusammen. Neben der Flotte beschäftigt uns aber auch das Thema Standortkosten. Sie sind in Deutschland extrem gestiegen, was uns sehr belastet. Und unsere Personalkosten sind zu hoch, da müssen wir unter anderem bei der Produktivität ansetzen.
Künstliche Intelligenz bei der Lufthansa
Und da fangen Sie jetzt an?
Das erste Ziel war, wieder zuverlässig und pünktlich zu fliegen. Das haben wir geschafft, was die Kundenzufriedenheit deutlich erhöht hat. Aber auch bei der Produktivität machen wir Fortschritte. Wir konnten Betriebsvereinbarungen nachverhandeln, was uns besonders bei den saisonalen Schwankungen helfen wird. Es gibt neue Teilzeitmodelle in der Kabine und Elternzeitmodelle im Cockpit, die haben wir fast alle finalisiert.
Über verbesserte Planungsprozesse, Regelmanagement mit KI-Unterstützung und ein neues Planungstool können wir Crews effektiver einsetzen und erreichen dadurch eine sehr viel höhere Produktivität. Wir planen auch besser, auf welchen Strecken die City Airlines, CityLine oder Classic am effektivsten und effizientesten fliegen.
Und hilft Ihnen der Einsatz künstlicher Intelligenz?
KI wird ein immer wichtigeres Thema in vielen Bereichen, zum Beispiel beim Optimieren der Bodenzeiten. Wir nutzen sie auch, um per Kamera den Abrieb der Reifen zu analysieren. Künstliche Intelligenz hilft uns außerdem, Wartungsarbeiten zu verbessern, indem wir manche Arbeiten zeitlich nach vorne ziehen, wenn etwa ein Triebwerk ohnehin geöffnet werden muss.
Aber es geht nicht nur um KI, sondern um Digitalisierung allgemein. Mehr als 90 Prozent der Gäste checken sich heute digital ein, über 90 Prozent der Koffer werden digital aufgegeben, auch 50 Prozent unserer Business Class Gäste nutzen die automatisierte Gepäckaufgabe. Das spart Zeit für die Passagiere und hilft, effizienter zu werden.
Kurzstrecke wird für die Lufthansa Flotte wichtiger
Das Thema Matrix Next Level wurde intern ja viel diskutiert. Ist die Harmonisierung des Kurzstreckennetzes die wichtigste Komponente?
Wir sind aktuell sehr effizient bei der Planung der Langstreckenverbindungen. Das machen wir in der Gruppe seit vielen Jahren sehr erfolgreich. Bei der Kurzstrecke haben wir diese Harmonisierung bisher nicht vollzogen. Unsere größte Achillesferse ist der Kontinentalbetrieb. Wir haben viele Umsteiger, die nicht auf die Langstrecke wechseln, sondern auf der Kurzstrecke weiterfliegen.
Von Stockholm nach Lissabon kann man über Frankfurt, München, Zürich und Wien fliegen – aber macht das wirklich Sinn? Ich hoffe sehr, dass wir eine sehr viel bessere Abstimmung der verschiedenen Drehkreuze aufeinander schaffen. Je mehr Hubs wir in der Gruppe haben, desto wichtiger wird diese Optimierung. Wir wollen unseren Kunden eine große Auswahl bieten, aber wir fliegen zu oft parallel.
Damit würden Sie Kapazität für andere Märkte herausholen?
Ja, ich gehe davon aus, dass wir eine zweistellige Anzahl von Flugzeugen anders einplanen könnten, auch, um unser Ergebnis auf der Kurzstrecke zu verbessern. Der europäische Umsteigeverkehr muss optimiert werden. Vor Corona haben wir damit keine Verluste gemacht, jetzt leider sehr deutliche. Mit der Langstreckenanbindung in Frankfurt werden aber auch viele Kurzstrecken in Frankfurt bleiben, weil viele Gäste die Flüge nutzen, um dann hier umzusteigen.
Das Wachstum auf der Kurzstrecke findet nicht mehr bei der Classic statt, sondern bei City und Discover.
Wir haben bei der Lufthansa Classic ein massives Profitabilitätsproblem, insbesondere durch den Kurzstreckenbetrieb. Dies liegt an den enorm gestiegenen Kosten in nahezu allen Bereichen, aber vor allem an den Standortkosten in Deutschland und den Personalkosten. Unser Ziel ist es, die Kurz- und Mittelstrecke wieder wettbewerbsfähig zu gestalten. Wo uns das nicht gelingt, haben wir mit City Airlines und Discover Airlines wettbewerbsfähige Alternativen. Finden wir gemeinsam keine Lösung, ist absehbar, dass die anderen Flugbetriebe schneller wachsen.
Was Infrastruktur für die Lufthansa Flotte bedeutet
In Frankfurt wird im kommenden Jahr das Terminal 3 eröffnet, in das viele andere Airlines ziehen werden. Was bedeutet das für Lufthansa?
Auch wir profitieren. Wir bekommen mehr Parkpositionen vor dem Terminal 2. Wir haben mehr Flexibilität, vor allem in den beiden Knoten um 11 und 14 Uhr. Grundsätzlich brauchen wir aber auch auf der Nordseite des Flughafens für Lufthansa und die Star Alliance Partner ein Premium Produktangebot. Das bedeutet: In den Terminals 1 und 2 muss dringend eine Modernisierung und Sanierung angegangen werden.
Die neue Bundesregierung hat ihnen Entlastungen versprochen, passiert ist bislang nichts.
Stimmt, und wir sind sehr enttäuscht. Es gab große Versprechungen, die Gebühren zu senken. Auf die Ankündigungen sind leider keine Taten gefolgt. Steuern und Gebühren haben sich seit 2019 fast verdoppelt und liegen mit 35 Euro für eine innerdeutsche oder europäische Flugstrecke höher als nirgendwo sonst in Europa. Das ist zum Beispiel sechsmal mehr als in Spanien. Die hohen Kosten behindern massiv unsere Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland ist eine Exportnation und kann es sich nicht erlauben, dass der Luftverkehr hierzulande weiter schrumpft.
Das Interview führten: Jens Flottau und Dietmar Plath





