Warum fliegen Flugzeuge? Bernoullis Theorie und ihre Tücken
Warum fliegen Flugzeuge? Was wie Magie erscheint, ist in Wahrheit Physik. Und wer dieser Frage nachgeht, wird schnell auf das Bernoulli-Gesetz stoßen: Oberdruck, Unterdruck, Sogwirkung, vielleicht schon einmal im Physikunterricht gehört. Doch ist das wirklich das Geheimnis?
Der Blick geht zum Himmel, und schon kreist das Gedankenkarussell: Vier Kondensstreifen im satten Blau lassen eine Langstreckenmaschine vermuten. Eine Boeing 747 oder A380 – beides Großraummaschinen, Hunderte von Tonnen schwer. Unvorstellbar geradezu, dass Widebodies wie diese federleicht vom Boden abheben und federgleich in der Luft bleiben.
Also: Warum können Flugzeuge fliegen? Die Antwort lautet: dank der Physik. Und um das Wie zu verstehen, muss man sich zunächst einmal die einzelnen Kräfte, die auf Flugzeuge im Flug wirken, genauer anschauen.
Welche Kräfte wirken auf Flugzeuge ein?
Da ist zum einem das Gewicht des Flugzeugs zu nennen. Die Masse wird stetig von der Erdanziehung nach unten gezogen. Die Maschine bleibt nur dann in der Luft, wenn der Auftrieb ihr Gewicht mindestens ausgleicht. Auftrieb wiederum entsteht durch die Bewegung durch die Luft – und zwar vor allem an den Flügeln. Ohne Luft kein Auftrieb. Dafür nötig ist, Punkt drei, ausreichend Antrieb: Der Schub, von Motoren produziert, bewegt das Flugzeug vorwärts und stellt sicher, dass an den Tragflächen die Luft strömt. Dem wiederum wirkt der Luftwiderstand entgegen, er bremst das Flugzeug.
Zwei der vier Kräfte sind naturgegeben, mit ihnen müssen Flugzeug und fliegender Mensch leben: Erdanziehung und Luftwiderstand. Für An- und Auftrieb können technisch versierte Menschen dank leistungsstarker Motoren und ausreichend dimensionierter Tragflächen selbst sorgen. Wir haben es also selbst in der Hand.
Warum fliegen Flugzeuge? Die Tragfläche
Tragflächen sorgen dafür, dass Flugzeuge in der Luft „getragen“ werden. Und in ihrer klassischen Konstruktion sind sie zumeist den Flügeln der Vögel nachempfunden. Im Profil betrachtet, erinnern sie dann in der Regel an einen auf der Seite liegenden Tropfen. Das dickere Ende befindet sich vorn, die auslaufende Spitze hinten. Die Unterseite ist fast gerade, die Oberseite gewölbt.
Jetzt kommt, was kommen muss – nämlich Daniel Bernoulli (1700 bis 1782) ins Spiel. Dem Schweizer Mathematiker aus dem 18. Jahrhundert waren tollkühne Männer in fliegenden Kisten qua seiner Lebensepoche zwar maximal fremd, dennoch hatte er 1738 in seiner Schrift „Hydrodynamica“ etwas formuliert, was seinerzeit zwar einem anderen Element zugeschrieben wurde, später aber dann auch für die Aerodynamik übernommen werden konnte: Wird Wasser zu schnellerem Strömen angeregt, entsteht ein Unterdruck gegenüber der umgebenen langsameren Flüssigkeit, also ein Sog. Umgekehrt entsteht bei einer Verlangsamung ein Überdruck. Und diese Gesetzmäßigkeit gilt nicht nur für Flüssigkeiten, sondern auch für Gase wie Luft.
Auf unseren Flugzeug-Tragflügel übertragen würde Bernoulli uns heute sagen: Der Luftstrom hat an der Unterseite einen kürzeren Weg, strömt also langsamer, entsprechend höher ist der Druck unterm Flügel. Dagegen muss der Luftstrom über die obere, gewölbte Seite hinweg schneller fließen, um zeitgleich hinten anzukommen. Die Sogwirkung zeigt also aufwärts.
Warum fliegen Flugzeuge? Hat Bernoulli recht?
Zur Klärung der Frage, warum Flugzeuge tatsächlich in der Luft bleiben, formieren sich seit einigen Jahren mehr und mehr kritische Stimmen. Grundsätzlich: Daten von Stromlinienuntersuchungen in Windkanälen oder Laborexperimenten beweisen, dass Bernoullis Prinzip richtig ist. Dennoch merken einige Aerodynamiker an, dass das Schweizer Genie keine vollständige Erklärung für den Auftrieb gibt.
Sicher, Luft bewegt sich auf einer gekrümmten Oberfläche schneller, doch warum ist das so? Als gängigste Theorie wird gerne die der „gleichen Laufzeit“ angeführt. Laut ihr müssen sich Luftpartikel, die sich an der Vorderkante des Flügels trennen, an der Hinterkante wiedervereinigen. Da der obere Partikel in einer bestimmten Zeit einen weiteren Weg nimmt als der untere, muss er folglich schneller sein. Doch dafür gibt es keinen schlüssigen physikalischen Grund. Molekülen eine romantische Sehnsucht nach Ex-Partnern zuzuschreiben, wäre eine gewagte Theorie. Vielmehr wurde inzwischen sogar belegt, dass sich die Luft an der Flügelspitze viel schneller bewegt, als es die Theorie der gleichen Laufzeit erklären könnte.
Woher nimmt ein Flugzeug im Rückenflug den Auftrieb?
Eine weitere Frage ist unbeantwortet: Wie oder warum sorgt die höhere Geschwindigkeit auf der Tragfläche für einen niedrigeren und nicht einen höheren Druck? Führt die Krümmung einer Tragfläche nicht dazu, dass die Luft nach oben verdrängt und somit komprimiert wird, was zu einem erhöhten Druck auf der Tragfläche führen müsste? Engpässe verlangsamen Strömungen, statt sie zu beschleunigen. Schauen Sie sich ruhig einmal die Verkehrssituation vor Baustellen auf der A1 am letzten Wochenende der Sommerferien an – wenn von drei Spuren auf eine verengt wird.
Oder wie ist das beim Kunstflug mit dem Rückenflug? Dabei wird die gewölbte Oberfläche doch zur Unterfläche, das Flugzeug müsste folglich nach unten gesaugt werden. Manche Tragflächen haben sogar eher symmetrische Profile, und bleiben dennoch in der Luft. Und selbst ein Backstein kann Auftrieb erzeugen, wenn er nur mit dem geeigneten Winkel und dem richtigen Schub gegen die Luftströmung gestellt wird. Kurzum: Auch hier bleibt Bernoulli Antworten schuldig.
Sollten wir also stattdessen lieber auf den englischen Gelehrten Isaac Newton (1643 bis 1727) hören, der in seinem dritten Bewegungsgesetz, Stichwort Aktion und Reaktion, folgendes zu Papier brachte: Übt ein Körper, nennen wir ihn A, auf einen anderen Körper, kurz B, eine Kraft aus, so wirkt eine gleich große, aber entgegengerichtete Kraft – also von B auf A. Auf den Tragflügel übertragen bedeutet dies: Prallen Luftmoleküle gegen die Unterseite des entsprechend in den Luftstrom gestellten Flügels, werden sie nach unten abgelenkt und erzeugen laut Newton so eine Kraft, die den Flügel nach oben drückt. Doch diese Betrachtung vernachlässigt die Oberseite des Flügels komplett.
Welche modernen Ansätze erklären den Auftrieb?
Moderne Ansätze basieren auf numerischen Strömungssimulationen und berücksichtigen unter anderem auch die Viskosität realer Luft. Zur korrekten Berechnung der Strömungsverhältnisse rund um eine Tragfläche sind ausgesprochen komplizierte Differenzialgleichungen nötig – die es aber gibt, dank der Mathematiker Navier (1785 bis 1836) und Stokes (1819 bis 1903). Die sogenannten Navier-Stokes-Gleichungen sind allerdings zu komplex, um für die Praxis gelöst werden zu können. Da helfen heute Hochleistungscomputer und eine Methode namens „Computational Fluid Dynamics“.
Warum fliegen Flugzeuge: Was sagen heutige Forscher?
Dass sich sogar Albert Einstein mit dem Thema beschäftigt hat, beweist seine Komplexität. 1916 veröffentlichte er in der Zeitschrift „Die Naturwissenschaften“ den Beitrag „Elementare Theorie der Wasserwellen und des Fluges“. Und in ihm kam Einstein zu dem Ergebnis, dass „es eine Menge Unklarheiten über diese Fragen“ gebe. Und „in der Tat muss ich gestehen, dass ich selbst in der Fachliteratur nie eine einfache Antwort darauf gefunden habe“.
Unter den noch lebenden Aerodynamikern erforscht aktuell unter anderem Doug McLean, viele Jahre bei Boeing beschäftigt, die physikalischen Ursache-Wirkungs-Beziehungen, die den Auftrieb erklären. Seine Erklärung fußt auf der Annahme, dass sich die Luft um einen Flügel wie ein zusammenhängendes Material verhält, das sich verformt, um den Konturen des Tragflügels zu folgen. „Der Tragflügel beeinflusst den Druck über einem weiten Bereich, einem sogenannten Druckfeld “, so McLean. Wenn Auftrieb erzeugt werde, bilde sich über dem Tragflügel immer eine diffuse Wolke niedrigen Drucks und darunter eine diffuse Wolke hohen Drucks. Dort, wo diese Wolken das Profil berühren, bilden sie die Druckdifferenz, die den Auftrieb auf das Profil ausübt.
Insbesondere die von McLeans genannte Wechselwirkung von vier Elementen – die Abwärtsdrehung des Luftstroms, eine Erhöhung der Geschwindigkeit des Luftstroms, einen Bereich mit niedrigem Druck und einen Bereich mit hohem Druck – ist der markanteste Punkt seiner Forschung; die vier Faktoren würden sich gegenseitig unterstützen.
Doch vielleicht ist es auch bei der Frage „Warum fliegen Flugzeuge?“ so wie in vielen anderen naturwissenschaftlichen Bereichen auch: Morgen oder übermorgen ruft jemand „Heureka“ und bringt weiteres Licht ins Dunkel.


