OSZE-Mission beklagt chaotische Zustände am Absturzort bei Donezk
19.07.2014 Weggeschaffte Trümmerteile und zusammengeschnürte Leichensäcke: Eine geordnete Untersuchung des Absturzes ist in der Ostukraine noch immer unmöglich. Die Rebellen stehen im Verdacht, die Boeing abgeschossen zu haben. Haben sie nun auch die Flugschreiber versteckt? Donezk/Kiew (dpa) – Vor dem Eintreffen ausländischer Luftfahrtexperten herrschen an der Absturzstelle der Boeing in der Ostukraine weiter chaotische Zustände. Schwer […]
19.07.2014
Weggeschaffte Trümmerteile und zusammengeschnürte Leichensäcke: Eine geordnete Untersuchung des Absturzes ist in der Ostukraine noch immer unmöglich. Die Rebellen stehen im Verdacht, die Boeing abgeschossen zu haben. Haben sie nun auch die Flugschreiber versteckt?
Donezk/Kiew (dpa) – Vor dem Eintreffen ausländischer Luftfahrtexperten herrschen an der Absturzstelle der Boeing in der Ostukraine weiter chaotische Zustände. Schwer bewaffnete und teils maskierte Separatisten behinderten die Arbeit der OSZE-Mission am Unglücksort östlich von Donezk, wie deren Sprecher Michael Bociurkiw am Samstagabend dem Sender CNN berichtete. Prorussische Rebellen stehen im Verdacht, das Flugzeug der Malaysia Airlines mit 298 Menschen an Bord am Donnerstag in 10 000 Meter Höhe mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen zu haben.
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew traf ein Team aus Malaysia ein. Die insgesamt 132 Experten, darunter Ärzte und Militärs, wollen am Sonntag zum Absturzort fahren. Auch der niederländische Außenminister Frans Timmermans kam mit einer Gruppe von 15 Experten in Kiew an.
Es besteht die große Sorge, dass es den beteiligten Kräften in der Ostukraine gelingen könnte, eine Aufklärung der Katastrophe zu verhindern und Täter ihrer Strafe entgehen könnten.
«Das Problem ist, dass es keine Absperrung des Ortes gibt, wie sonst üblich. Jeder kann da rein und womöglich mit Beweisstücken herumhantieren», kritisierte OSZE-Sprecher Bociurkiw.
Zudem gebe es keinen echten Ansprechpartner auf Seiten der Rebellen. Das erschwere die Suche nach den beiden Flugschreibern der Boeing. Es sei unklar, wo sich die Geräte nach ihrer Bergung befinden. «Niemand kann das beantworten. Das ist ein sehr, sehr großes Rätsel», sagte der OSZE-Sprecher. Zwischenzeitlich hatten regierungstreue, ukrainische Stellen mitgeteilt, sie hätten die Flugschreiber sichergestellt.
Die Regierung in Kiew warf den prorussischen Separatisten vor, am Absturzort Beweismaterial zu vernichten. Die Aufständischen wollten mit Lastwagen Wrackteile über die russische Grenze bringen. Die Separatisten versuchten, «Beweise ihrer Mitwirkung an dem Unglück vertuschen». Zudem hätten die militanten Gruppen 38 Leichen von der Absturzstelle in die Großstadt Donezk gebracht.
Die Separatisten wiesen alle gegen sie gerichteten Vorwürfe zurück und sagten den Experten eine Zusammenarbeit zu. Die Rebellen wollten aber im Absturzgebiet bleiben, um vor Ort eine «objektive Untersuchung» zu gewährleisten.
Die Aufständischen bestätigten den Abtransport sterblicher Überreste von der Absturzstelle. «Einige Dutzend Leichen», die mitten in der Ortschaft Grabowo gelegen hätten, seien «in Anwesenheit von OSZE-Beobachtern» nach Donezk gebracht worden, sagte der Rebellensprecher Sergej Kawtaradse.
Bei dem Absturz waren alle 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder an Bord der Boeing ums Leben gekommen – unter ihnen 193 Niederländer und 4 Deutsche. Die Fluggesellschaft Malaysia Airlines hat inzwischen eine Namensliste der Opfer veröffentlicht.
Die Hintergründe der Katastrophe sind weiter unklar. Nach Angaben von US-Präsident Barack Obama sind dafür sehr wahrscheinlich die moskautreuen Kräfte verantwortlich. Die Boden-Luft-Rakete, die das Flugzeug abgeschossen habe, sei aus einem von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiet abgefeuert worden, sagte Obama am Freitag. Russland kritisierte Berichte über einen angeblichen Abschuss der Maschine am Samstag als «voreilig». Damit sollten offenbar Ermittler beeinflusst werden, teilte das Außenministerium in Moskau mit.
Von mehr als 100 Absturzopfern fehlte auch zwei Tage nach dem Unglück weiter jede Spur. Bislang seien 186 Leichen geborgen worden, teilte der staatliche ukrainische Rettungsdienst am Samstag mit. Die Suche nach den übrigen Opfern gestalte sich sehr schwierig, da die Wrackteile über etwa 25 Quadratkilometer verstreut seien.
Auch Deutschland beteiligt sich an der Bergung und Identifizierung der Opfer. Zwei Fachleute des Bundeskriminalamtes reisten am Samstag in die Ukraine. Ein BKA-Sprecher sagte, sie wollten sich in Kiew mit einem größeren Team von Identifizierungsexperten treffen und das weitere Vorgehen besprechen. Sowohl der genaue Einsatzort als auch die Führung der Mission müssten noch geklärt werden.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach sich für die Einbindung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) in die Untersuchung ein. Das teilte das Außenministerium in Moskau am Samstag nach einem Telefonat Lawrows mit dessen US-Kollegen John Kerry mit. Beide Minister hätten betont, dass der Flugschreiber den Behörden übergeben werden müsse.
Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte am Samstag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Merkel und Putin seien sich einig, dass es rasch ein direktes Treffen der Kontaktgruppe aus Vertretern der Ukraine, Russlands und OSZE mit den Separatisten geben müsse, um eine Waffenruhe zu vereinbaren, teilte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter in Berlin mit.
US-Präsident Obama telefonierte am Freitag mit Merkel, dem britischen Premierminister David Cameron, Polens Premierminister Donald Tusk und Australiens Premierminister Tony Abbott, wie das Weiße Haus mitteilte. Alle fünf Politiker sprachen sich für eine schnelle internationale Untersuchung aus, um die Hintergründe des Absturzes zu klären.
Großbritannien forderte die EU auf, ihre Haltung gegenüber Russland zu überprüfen. Darin sei sich Premierminister David Cameron mit seinem niederländischen Amtskollegen Mark Rutte einig, teilte die Regierung in London nach einem Telefonat der Regierungschefs mit. Die EU hatte ihre Sanktionen gegen Moskau kürzlich verschärft. Noch richten sie sich aber nicht gegen ganze russische Wirtschaftszweige.