Im Chaos „einen kühlen Kopf bewahren“
Berlin/ Schönefeld Der BER hat den Wettlauf gegen die Zeit verloren: Die Eröffnung des Großstadtflughafens wird nicht, wie geplant, am 3. Juni statt finden. Der Grund: Technische Probleme bei der Brandschutztechnik. „Das ist kein guter Tag für den Flughafen und die Bürgerinnen und Bürger unserer Länder”, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) mit einem Hauch von […]
Berlin/ Schönefeld
Der BER hat den Wettlauf gegen die Zeit verloren: Die Eröffnung des Großstadtflughafens wird nicht, wie geplant, am 3. Juni statt finden. Der Grund: Technische Probleme bei der Brandschutztechnik.
„Das ist kein guter Tag für den Flughafen und die Bürgerinnen und Bürger unserer Länder”, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) mit einem Hauch von Wehmut in seiner Stimme. Zuvor hatte der Flughafenchef Rainer Schwarz mitgeteilt, dass der Eröffnungstermin für den Berliner Hauptstadtflughafen verschoben wird. Die Sicherheitsanlagen hätten nicht den Reifegrad gehabt, der eine Abnahme erlaubt hätte. Das ist die bittere Erkenntnis.
Was jetzt noch hilft ist „einen kühlen Kopf zu bewahren“, so lautet der Rat Wowereits hinsichtlich des geplatzten BER Starts. Denn die Verantwortlichen können kein Risiko eingehen. Zu viel steht auf dem Spiel. Das Mahnmal, die schwere Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen ist vielen noch im Gedächtnis. Ein scheinbar harmloser Schwelbrand, begünstigt durch einen Baupfutsch, endete 1996 am Düsseldorfer Flughafen in einer Katastrophe. 17 Menschen starben, 88 wurden verletzt, nachdem sich in Sekundenschnelle eine Feuerwalze durch die Ankunftshalle fraß.
Aus den Fehlern der Vergangenheit möchte man die Lehre ziehen. „Wir können uns seitens der Gesellschafter nicht über diese Bedenken hinwegsetzen”, erklärt Wowerteit. Die Verschiebung müsse akzeptiert werden: „Sicherheit hat Vorrang”.
Die kurzfristige Absage des BER-Starts, nur 27 Tage vor dem geplanten Termin, sei „eine bittere Enttäuschung“ für alle Mitarbeiter, bedauerte Schwarz. Diese stand den Verantwortlichen bei der heutigen Pressekonferenz förmlich ins Gesicht geschrieben. Über 7.000 Bauarbeiter sind derzeit auf Europas größter Flughafenbaustelle tätig. Bis zuletzt waren die Projektbeteiligten noch davon überzeugt, auch die für die Inbetriebnahme notwendigen sicherheitstechnischen Voraussetzungen bis zur Eröffnung des Flughafens am 3. Juni realisieren zu können. Doch die geplante Inbetriebnahme des Airports hatte sich immer mehr zu einem regelrechten Wettlauf gegen die Zeit entwickelt.
Die plötzliche Verschiebung des geplanten Eröffnungstermins stößt auf allgemeines Unverständnis. Man erwarte einen detaillierten Bericht, der die Frage kläre, ob sich eine Verschiebung des Eröffnungstermins nicht schon früher abgezeichnet habe, forderte Wowereit. Wenn es technische Probleme gebe, müsse es auch Ehrgeiz der Unternehmen sein, dass das läuft. „Wir behalten uns Regressforderungen vor”, fuhr der Regierende Berliner Bürgermeister mit Blick auf die Baufirmen fort.
Nun gehe es um Schadensbegrenzung. Die Belastung so gering wie möglich zu halten, lautet die Devise. Niemand müsse Sorge haben, dass er die geplante Urlaubs- oder Geschäftsreise nun nicht antreten könne, betont Wowereit. Dies sei über die bestehenden Flughäfen Tegel und Schönefeld möglich. Fest steht: Die Zeiten der Verschiebung sollen so gering wie möglich gehalten werden. Denn: „Es kostet auch alles Geld“, erklärte der SPD-Politiker.
„Wir werden alles tun, dass der Flughafen so schnell wie möglich in Betrieb gehen kann“, versicherte Schwarz. Die Inbetriebnahme sei nach den Sommerferien geplant. Einen genauen Termin nannte er jedoch nicht.
Die Kosten der Verschiebung seien noch nicht zu beziffern, auch im Hinblick auf mögliche Schadensersatzforderungen. Zwar müssten nun einige Maßnahmen zur Beschleunigung der Inbetriebnahme nicht mehr bezahlt werden. Andererseits gingen Millionenbeträge als Einnahmen verloren, die aus höheren Entgelten einkalkuliert worden waren. Laut Christian Wilp, Chefkorrespondent von ntv, belaufen sich die Kosten bedingt durch die Verzögerung auf mindestens 15 Millionen Euro im Monat.
Der bereits eingeleitete Umzug zum Hauptstadtflughafen wird wegen der Verschiebung ab sofort gestoppt, teilte Schwarz heute mit. Er gehe davon aus, dass das für den Sommerflugplan erwartete Wachstum an den bestehenden Airports Tegel und Schönefeld abgewickelt werden könne.
Flugsicherung von verschobener Eröffnung überrascht
Die Deutsche Flugsicherung (DFS) ist von der verschobenen Eröffnung des neuen Großflughafens Berlin-Brandenburg nach einem Bericht der Financial Times Deutschland überrascht worden. Die für die Koordinierung und Kontrolle der Flugrouten und Sicherheit der Flüge zuständige Gesellschaft sei erst heute darüber informiert worden, dass der geplante Termin Anfang Juni nicht gehalten werden kann, sagte DFS-Geschäftsführer Ralph Riedle dem Blatt.
„Wir müssen alle betroffenen Fluggesellschaften weltweit darüber informieren, dass sie ihre Abläufe ändern müssen”, so Riedle. Das sei für alle Beteiligten ein erheblicher Aufwand. Der Fall sei wegen der kurzfristigen Informationspolitik der Betreibergesellschaft sehr ungewöhnlich.
Scharfe Kritik am Projektmanagement
Nach der überraschenden Verschiebung der BER-Eröffnung gab es scharfe Kritik aus politischen Kreisen. „Berlin kann sich keinen Pannenflughafen leisten”, ermahnte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer.
SPD-Fraktionsvize Florian Pronold bemängelte die späte Information. Gegenüber dem Handelsblatt online sprach er von einer offenbaren „Überforderung der Projektverantwortlichen“. Der Vorsitzende des Bundestagsverkehrsausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), klagte über das „unprofessionelle“ Vorgehen des Projektmanagements.
Auch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast verübte scharfe Kritik an den Flughafenplanern. Von Anfang an sei der Flughafen eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen gewesen, wobei Pech davon die geringste Rolle gespielt habe, sagte sie. Fehlplanung, zwischendurch Korruption und durchgängig Intransparenz kennzeichneten das Projekt. „Es ist schon ein Trauerspiel, dass das Großprojekt nicht so betrieben wurde, dass es dann pünktlich fertig wird.”
Luftfahrtbranche: Probleme am Flughafen schnell beheben
Die deutsche Luftfahrtbranche dringt darauf, dass die Probleme am Hauptstadtflughafen zügig behoben werden. Weder Passagiere noch die Fluggesellschaften sollten lange unter der Verzögerung leiden müssen, erklärte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Klaus-Peter Siegloch. Die Absage des Eröffnungstermins 3. Juni sei „natürlich ein unglücklicher Umstand”. Die Entscheidung sei aber zu respektieren. „Die Sicherheit der Passagiere geht immer vor.”
Mit großer Enttäuschung hingegen hat Air Berlin die Nachricht vom verspäteten BER-Start aufgenommen. Die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft hatte alle Infrastrukturmaßnahmen und Flugpläne auf den 3. Juni dieses Jahres am neuen Großstadtflughafen ausgerichtet. Hartmut Mehdorn, CEO von Air Berlin, befürchtet dadurch erhebliche noch nicht kalkulierbare Mehrkosten: „Wir müssen mit dieser Umplanung neu umgehen, was eine große Herausforderung bedeutet. Es stellt alle Beteiligten vor gewaltige logistische Probleme.“
Das neue Drehkreuz der Airline ist so konzeptioniert, dass die Flugzeuge täglich in sechs Wellen sternförmig nach Berlin fliegen. Dieses System sei xakt auf die Bedingungen am BER zugeschnitten und in Tegel nicht ohne Weiteres durchführbar. Noch am Freitag hatte der Vorstand von Air Berlin den neuen Flughafen besichtigt; dabei sind alle Beteiligten zuversichtlich gewesen, dass der BER seinen Betrieb planmäßig aufnehmen werde. Die Airline sehe jedoch ein, dass die Sicherheit der Fluggäste oberste Priorität habe.
Auch die Lufthansa benötigt einen funktionierenden Flughafen in der Hauptstadt Berlin. Man habe daher ein Stück weit Verständnis, dass wegen technischer Probleme die Eröffnung nach hinten verschoben werden muss, hieß es heute aus Unternehmenskreisen bei der Hauptversammlung in Köln. „Ein Chaos wie London-Heathrow darf sich in Berlin nicht wiederholen”, sagte ein hochrangiger Lufthanseat. In London war es im Jahr 2008 nach Eröffnung des fünften Terminals zu etlichen Flugausfällen und Gepäckchaos gekommen. Zu möglichen Schäden, Regressansprüchen und Alternativplanungen in Berlin wollte sich das Unternehmen erst äußern, wenn Fakten zur Verschiebung des geplanten Eröffnungstermins vorliegen. Lufthansa will in der Hauptstadt seinen Verkehr erheblich ausbauen.
Die Bahn ist in den Startlöchern
Die Bahn sieht für sich keine Probleme durch die spätere Eröffnung des Hauptstadtflughafens. „Wir sind auf Standby und können jederzeit starten”, sagte ein Sprecher am Dienstag. „Unser Bahnhof ist fertig, die Züge stehen bereit.” Derzeit läuft der Probebetrieb in der Regional- und Fernbahnstation unter dem Abfertigungsgebäude. Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg müsse nun sagen, wie er sich den Zugverkehr ab dem 3. Juni vorstelle. Der neue Flughafen in Schönefeld kann wegen Problemen beim Brandschutz nicht wie geplant an diesem Tag in Betrieb gehen.
Pläne für den weiteren Flughafenausbau
Nach der Flughafeneröffnung ist für die Betreiber vor dem Ausbau. Denn der Hauptstadtflughafen ist für 27 Millionen Passagiere gebaut und Berlin zählte im vergangenen Jahr erstmals mehr als 24 Millionen. Unmittelbar nach der Eröffnung soll deshalb nach Angaben der Flughafengesellschaft die Ausbauplanung beginnen. 2013 sollen Anbauten am Terminal in die Wege geleitet werden, um Raum für drei Millionen zusätzliche Passagiere zu schaffen. Schon genehmigt sind auch zwei Satelliten des Terminals zwischen den Start- und Landebahnen. Sie würden die Flughafenkapazität auf 45 Millionen Passagiere bringen, aber dafür gibt es noch keinen Zeitplan.
Bei der Schlussabrechnung müsse geschaut werden, ob der Finanzrahmen ausreiche, sagte Aufsichtsratschef Wowereit mit Blick auf die Kosten. Trotz der Verschiebung solle noch in diesem Jahr eine Entscheidung über einen ersten Satelliten am Flughafen getroffen werden, sagte er in Anspielung auf eine mögliche Erweiterung der Abfertigungskapazitäten. „Die Erfolgsgeschichte muss weitergeschrieben werden. Deswegen werden wir auch zusätzliche Investitionen brauchen.” Und, dass der BER trotz seiner Verschiebung eine Erfolgsgeschichte sein wird, davon ist Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit überzeugt.
Quelle: dpa/ Aeroscope