St. Helena, 13. März 2018 Seit Oktober 2017 hat die Insel St. Helena einen Flughafen. Der Tourismus wächst und gibt den Inselbewohnern neue Hoffnung. Der Aufschwung ist dringend nötig – denn vom Brexit ist auch das britische Überseegebiet mitten im Atlantik betroffen. Die Durchsage klingt wenig beruhigend: «Es könnte gleich einen kurzen Moment des Unbehagens […]

St. Helena, 13. März 2018

Seit Oktober 2017 hat die Insel St. Helena einen Flughafen. Der Tourismus wächst und gibt den Inselbewohnern neue Hoffnung. Der Aufschwung ist dringend nötig – denn vom Brexit ist auch das britische Überseegebiet mitten im Atlantik betroffen.

Die Durchsage klingt wenig beruhigend: «Es könnte gleich einen kurzen Moment des Unbehagens geben», meldet die Chefstewardess im Landeanflug auf St. Helena. Die Vulkaninsel liegt fast mittig zwischen Angola und Brasilien im Südatlantik und wird seit Oktober 2017 erstmals von Linienflügen angesteuert.

Die Landung auf dem windigen Eiland ist ruppig. St. Helena ist auf den ersten Blick kein besonders wirtlicher Ort. Napoleon wurde 1815 hierher verbannt. Steile Berge, dunkles Vulkangestein, kaum eine Pflanze hält sich in dieser kargen Landschaft. Doch der erste Eindruck täuscht.

Dass St. Helena auch Geborgenheit vermitteln kann, wird schon auf dem Fußweg von der Maschine zum brandneuen Terminal klar, in dessen Obergeschoss die Inselbewohner dicht gedrängt stehen, um der Ankunft von Neulingen und lange vermissten Familienangehörigen beizuwohnen. Nicht wenige sind aus beruflichen Gründen gekommen, Derek Richards zum Beispiel. Seit vergangenem Jahr betreibt er mit seiner Frau Linda ein kleines Gästehaus in St. Pauls, zehn Autominuten von der Hauptstadt Jamestown entfernt.

Die beiden Zimmer der Herberge sind ans Wohnhaus angebaut, gegessen wird gemeinsam mit den Gastgebern. «Ich hatte es schon lange vorher geplant, aber die Leute kamen ja nicht regelmäßig», erklärt der 52-Jährige. Der Flughafen, sagt er, habe die gesamte Dynamik der Insel verändert. Sie sei nun nicht nur für Touristen besser erreichbar, sondern auch die Einheimischen hätten es leichter, in den Rest der Welt zu gelangen. «Du bist nicht mehr fünf Tage auf einem Boot, wenn du in den Urlaub fahren willst.»

Genau dies war bisher die Realität – und St. Helena daher kein Touristenziel. Das britische Postschiff «RMS St Helena» verband die Insel seit 1990 mit dem Mutterland und vor allem mit dem näher gelegenen Hafen Kapstadt in Südafrika. Die monatliche Ankunft von Fleisch, Gemüse, Medikamenten – und schon immer auch ein paar Reisender – bestimmte über Jahrzehnte den Puls der Insel. Nun, da die Luftbrücke etabliert ist, hat das altehrwürdige Schiff am 10. Februar 2018 den Dienst quittiert. Eine Ära ging zu Ende.

Das letzte Einlaufen des Postschiffs Ende Januar von Südafrika aus war ein Ereignis, das viele sentimental gemacht hat – zum Beispiel Gregory Phillips, 39. Er hat das Schauspiel von seinem Arbeitsplatz im Old Fort aus mit dem Fernglas beobachtet, hoch oben über der Hauptstadt Jamestown. Einst als Verteidigungsanlage eingerichtet, beherbergt die Festung heute den halbstaatlichen Strom- und Wasserversorger. Das Schiff mit dem blau-weißen Rumpf und dem dicken gelben Schlot hat Phillips viermal nach Kapstadt und zurück gebracht.

«Viele Leute mögen es, per Schiff zu reisen», sagt der gelernte Klempner. Dann schweigt er zunächst und blickt aufs Meer. Er habe gehört, dass auf dem neuen Schiff, das nur noch Güter bringt, die Frachtgebühren pro Container stiegen. Dabei seien die Lebenshaltungskosten jetzt schon so teuer. Der Brexit hat die Preise steigen lassen. Nun hofft man auf der Insel, dass der Tourismus die Wirtschaft ankurbelt und so die Abhängigkeit von der britischen Regierung verringert.

Investiert wurde bereits kräftig, sowohl von Privatleuten wie den Richards als auch seitens der Inselregierung. Letztere hat im Stadtzentrum drei historische Reihenhäuser komplett renovieren lassen, miteinander verbunden und so ein elegantes Hotel aus dem Boden gestampft. Man habe zunächst versucht, private Investoren zu finden, erzählt Gouverneurin Lisa Phillips. «Aber das war schwierig, weil der Flughafen noch nicht eröffnet war.» Doch nun war es soweit – folglich braucht die Insel Gästebetten.

Lisa Philipps lädt ein zum Gespräch in ihrem Bürosaal im Castle, ursprünglich eine der ersten Befestigungsanlagen, die die Briten errichtet hatten. Vor den Fenstern in der Bucht liegen die Boote der Fischer und ein paar Jachten auf einem spiegelglatten Atlantik. Hinter ihrem Schreibtischsessel hängt ein blaustichiges Bild der Queen an der Wand. Doch diese abgeschiedene Idylle ist vor den Problemen der Welt nicht gefeit. Phillips klagt über die Auswirkungen des bevorstehenden Brexits, der jetzt schon die Nahrungsmittelimporte verteuert habe und die Fortsetzung der EU-Förderprogramme auf St. Helena gefährde.

Wirklich abgekoppelt von Europa war die gern als «abgelegenster Ort der Welt» beworbene Insel aber ohnehin schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Den Portugiesen, die sie 1502 entdeckten, diente der unbewohnte und insgesamt nur 121 Quadratkilometer große Flecken Land zunächst als Versorgungsstation. Sie brachten Nutztiere, pflanzten Obstbäume und füllten ihre Trinkwasservorräte auf. Die strategisch wichtige Lage rief aller ursprünglichen Geheimhaltung zum Trotz jedoch bald auch andere europäische Großmächte auf den Plan. Vor allem Holländer und Engländer balgten sich um das Eiland. 1657 übergab die britische Krone die Rechte zur Verwaltung St. Helenas an die Britische Ostindien-Kompanie. Die Besiedlung begann.

Der britische Einfluss ist bis heute nicht zu übersehen. Bezahlt wird in dem britischen Überseegebiet, dessen Verwaltung direkt dem Außenministerium in London untersteht, mit dem Saint-Helena-Pfund. Die Währung ist an das britische Pfund gekoppelt. Auf den engen, in den Stein gehauenen Straßen, gilt – wenn überhaupt zwei Autos aneinander vorbei passen – Linksverkehr. Und auch die Amtssprache ist Englisch. Selbst wenn die Saints, wie sich die Inselbewohner nennen, das Englisch in einer Mundart interpretieren, die sie ebenfalls Saint getauft haben und an eine gejodelte Mischung aus schottischem Hochlandkauderwelsch und US-Südstaaten-Slang erinnert.

Die Lebensart weicht deutlich von der Hektik europäischer Metropolen ab. Auf den Straßen grüßt jeder der nur 4500 Einwohner jeden. Staus und wütende Schimpftiraden gestresster Verkehrsteilnehmer gibt es nicht – und kann es auch nicht geben, weil man sich ja kennt und sicher schon bald wieder sieht. Auch Kriminalität ist ein Fremdwort, die Einwohner schließen nicht einmal ihre Autos ab. Heute kommen Menschen aus genau diesen Gründen nach St. Helena.

Vor 200 Jahren aber war es dieses Provinzielle, das den berühmtesten Inselbewohner wider Willen – Napoleon Bonaparte – auf die Palme brachte. Von 1815 bis zu seinem Tod 1821 lebte der französische Militärdiktator auf St. Helena, zwar verbannt und bewacht von den Briten, aber durchaus in gehobenem Stil.

Edle Weine aus Madeira und Kapstadt sowie Schinken aus Spanien seien Napoleon geliefert worden, der auch sein Haus nach Lust und Laune verlassen durfte, berichtet Trevor Magellan. «Er konnte sich frei bewegen, aber wo konnte er schon hin?» Magellan, schon lange Rentner, führt heute zweimal die Woche Touristen durch das Gästehaus, in dem Napoleon die ersten sieben Wochen seines Aufenthalts lebte. Seitdem der Flughafen eröffnet wurde, hat er viel zu tun: 32 Besucher seien in der vergangenen Woche gekommen, heute allein schon wieder 25, wie er stolz berichtet. Zuvor aber – das gibt er zu – ist er manchmal ganz allein geblieben. Mit dem Geist Napoleons natürlich.

Wer Einsamkeit sucht, muss heute aus Jamestown hinausfahren. Der Ort mit seiner Einkaufsstraße und dem kleinen Hafen ist eine Art Miniaturzentrum der Insel. Von hier legen die Boote ab, die Taucher zu den Riffen bringen, wo sich bunte Doktorfische, Felsenbarsche und Muränen tummeln. Hauptattraktion zwischen November und März sind die gigantischen Walhaie, die als Planktonfresser schnorchelnde Wegbegleiter friedlich tolerieren.

Neben den Touristenbooten legen aber auch die alten Fischerkähne noch immer aus der Bucht ab. Peter Benjamin ist einer von nur noch sieben Berufsfischern, die morgens um 4.00 Uhr in See stechen, um zunächst im Schutz der Nacht die scheuen Köderfische und anschließend dicke Gelbflossenthunfische zu fangen. Wann immer es geht, nimmt er dazu auch Gäste mit.

Von einem durchgestylten Hochseetrip im Kampfstuhl einer funkelnden Jacht haben diese Ausfahrten freilich wenig. Nicht einmal einen Fischfinder hat der kauzige 57-Jährige an Bord. «Wenn du 41 Jahre zum Fischen gefahren bist, hast du das im Kopf», sagt Benjamin. Und hält Wort. Schon bald umkreisen die Meeresräuber das Boot förmlich.

Während seine beiden angelnden Passagiere minutenlang mit einem einzigen Fisch kämpfen, schlägt Benjamin mit einem Bambusstock auf die Wasseroberfläche, um die fünf bis sieben Kilogramm schweren Thunfische einen nach dem anderen aus dem Wasser zu hieven. Chronische Rückenschmerzen? Die merke er erst, wenn er wieder an Land sei, sagt er mit einem Lachen.

Es ist diese Mischung aus Leichtigkeit und Leiden, aus rauer Landschaft und perfekter Ruhe, die St. Helena besonders macht. Daran ändern auch die knapp 80 Flugpassagiere noch nichts, die nun wöchentlich landen. Gästehauseigner Derek Richards hat diese Inselatmosphäre immer wieder zurückgebracht. Zweimal hat er für mehrere Monate in England gearbeitet, sich dort zum Feuerwehrmann ausbilden lassen. Doch dort zu bleiben, kam für ihn nicht in Frage.

Mit einem Glas Weißwein in der Hand steht Richards vor dem Steilhang am South West Point, dort wo das ruhigere Wasser der Nordküste auf die rauen Wellen trifft, die aus Südosten heranrollen. Ein paar Meter weiter fliegt ein St.-Helena-Regenpfeifer auf, der Wappenvogel der Insel. Irgendwo Richtung Brasilien geht über dem endlosen Meer die Sonne unter.

Eine knappe Stunde lang ist Richards über zerfurchte Feldwege an diesen Ort gefahren, nur für diesen Moment. «Ich liebe diesen Ort», sagt er. «Wo könnte ich so etwas in Großbritannien jemals haben?»

Info-Kasten: St. Helena

Reisezeit: Jahreszeiten gibt es auf der Insel nicht wirklich, die Tagestemperaturen bewegen sich zwischen 20 und 24 Grad. Die wärmeren Monate sind Januar bis März, kühler ist es von Juni bis September.

Anreise: Als einzige Fluggesellschaft fliegt South African Airlink einmal wöchentlich (am Samstag) von Johannesburg nach St. Helena. Johannesburg fliegen verschiedene Airlines an, Direktflüge ab Frankfurt/Main und München bieten etwa Lufthansa und South African Airways. Flüge von und nach St. Helena können wegen der rauen Witterungsbedingungen auch mal verschoben werden. Bei der Einreise muss ein Rückflugticket nachgewiesen werden.

Geld: Überall akzeptiert werden britische und Saint-Helena-Pfund, in manchen Geschäften auch Euro und Dollar. Da es auf der Insel keine Geldautomaten und nur wenige Möglichkeiten zur Kreditkartenzahlung gibt, empfiehlt es sich, vorab Geld zu tauschen.

Informationen: www.sthelenatourism.com

Christian Selz. dpa