Therapeutin: Viele Ramstein-Überlebende leiden noch heute
25 Jahre ist die Katastrophe von Ramstein inzwischen her. Doch viele Überlebende litten noch heute darunter, sagt die Therapeutin Sybille Jatzko. Nicht immer fänden die Opfer dafür Verständnis. Krickenbach (dpa) – Am 28. August jährt sich die Flugtag-Katastrophe von Ramstein zum 25. Mal. Hunderte Menschen wurden damals schwer traumatisiert, als drei Militärflugzeuge in der Luft […]
25 Jahre ist die Katastrophe von Ramstein inzwischen her. Doch viele Überlebende litten noch heute darunter, sagt die Therapeutin Sybille Jatzko. Nicht immer fänden die Opfer dafür Verständnis.
Krickenbach (dpa) – Am 28. August jährt sich die Flugtag-Katastrophe von Ramstein zum 25. Mal. Hunderte Menschen wurden damals schwer traumatisiert, als drei Militärflugzeuge in der Luft kollidierten, eine Maschine brennend in die Zuschauermenge stürzte und Dutzende Menschen tötete. An den psychischen Spätfolgen litten viele Überlebende noch heute, berichtet eine Therapeutin aus dem pfälzischen Krickenbach, die seit langem Betroffene betreut. Im Interview mit der dpa: Sybille Jatzko.
Frage: 25 Jahre ist die Flugtag-Katastrophe von Ramstein inzwischen her. Wie geht es den Überlebenden heute?
Antwort: Es gibt heute noch Zeiten, in denen schwer traumatisierte Überlebende wenig belastbar sind, stumm vor sich hingucken, sehr geräuschempfindlich sind, Alpträume haben und nur mit Licht schlafen können. Dann gibt sich das wieder und sie können wieder am Leben teilnehmen – bis zum nächsten Einbruch. Ein Betroffener wollte mit mir noch vor dem 25. Jahrestag unbedingt auf den Tower von Ramstein gehen, um Abstand von den Erlebnissen von damals zu bekommen und Frieden zu finden. Doch er bekam immer wieder Flashbacks, leidet unter Bluthochdruck und inzwischen auch unter Tinnitus. Der Stress, auf den Tower zu gehen, wäre für ihn zu groß.
Frage: Leiden die Betroffenen denn unter dem 25. Jahrestag?
Antwort: Der Jahrestag rührt bei den Traumatisierten vieles wieder auf. Sie haben Herzklopfen, Schweißausbrüche und schon Tage vorher Angst vor dem Jahrestag. Doch sie machen auch die Erfahrung, dass es jedes Jahr ein bisschen weniger wehtut. Das schärft die eigene Wahrnehmung, das beruhigt. Selbst die Schwersttraumatisierten merken inzwischen, dass die Symptomatik abgenommen hat. Die Rückfälle verlaufen wesentlich sanfter und sind schneller wieder vorbei, selbst bei Flashbacks oder bei einer Retraumatisierung etwa durch einen Unfall. Insofern ist das Aufrühren auch hilfreich und konstruktiv. Für die Eltern, die ein Kind verloren haben, sind solche Jahrestage ohnehin besonders bedeutsam. Es ist ihnen enorm wichtig, die Erinnerung an ihre Kinder wachzuhalten. Es ist eine Aufforderung: Nehmt Anteil, vergesst es nicht.
Frage: Manche sagen, das ist jetzt ein Vierteljahrhundert her, jetzt lasst es mal gut sein. Was sagen Sie denen?
Antwort: Die Umwelt reagiert manchmal rücksichtslos. Einige sagen, es ist doch schon so viele Jahre her. Andere meinen: Warum tust du dir das noch an und gehst zur Trauerfeier? Das sind gut gemeinte Ratschläge, die die Betroffenen jedoch als Schläge empfinden, weil sie sich nicht verstanden fühlen. Dass die Überlebenden die schrecklichen Ereignisse nach 25 Jahren vergessen haben, glauben nur Menschen, die kein Trauma kennen. Im normalen Erfahrungsschatz eines Menschen ist ein Trauma ja auch nicht vorhanden. Doch diese Gleichgültigkeit tut weh.
Frage: Die Menschen gehen einer Konfrontation mit einem Thema wie Ramstein gern aus dem Weg, was ja auch verständlich ist. Was hätten sie davon, sich damit näher zu beschäftigen?
Antwort: Durch solche Jahrestage haben alle Menschen die Chance, zu verstehen und zu lernen. Es schadet niemandem, Anteil zu nehmen und nachzuempfinden, welche Wegstrecke Betroffene gegangen sind. Denn eines sollte man bedenken: Keiner ist geschützt, jeden kann ein traumatisierendes Erlebnis treffen.
Frage: Kann man denn vorbeugen?
Antwort: Menschen, die sich in einem ruhigen, sicheren Umfeld gedanklich mit Katastrophen auseinandersetzen und überlegen, was geschehen kann – egal ob es eine Katastrophe wie in Ramstein ist oder ein Tsunami oder eine Loveparade, die außer Kontrolle gerät – sind im Vorteil, wenn es sie wirklich trifft. Ihnen wird das, was sie durchgespielt haben, lebenslang in Erinnerung bleiben, sie können es jederzeit abrufen. Das bietet einen gewissen Schutz. Von den Betroffenen solcher Katastrophen können wir lernen. Niemand ist geschützt. Es kann uns jeden Tag etwas geschehen, und es ist besser, vorbereitet zu sein. Dadurch sind wir für eigenes Schlimmes gerüstet.
Frage: Haben wir denn wirklich aus Ramstein gelernt? Wenn heute so eine Flugschau wäre, würden doch bestimmt wieder Tausende hinströmen.
Antwort: Es liegt in der Natur der Menschen, die Erinnerung an eine Katastrophe nicht permanent aufrecht zu erhalten. Sie wollen nicht mehr daran denken. Doch Geschehnisse wie Ramstein sind nicht vergessen. Und selbst die, die heute wieder zu einem solchen Flugtag gehen würden, wären innerlich ganz anders auf der Hut. Sie würden auf sich aufpassen.