Party ohne Ende: In der Karibik ist immer Karneval
Karneval in bitterer Kälte und nur vor der Fastenzeit? Da schütteln die Menschen auf Kuba oder Anguilla nur ungläubig ihre Köpfe. Die Karibik feiert das ganze Jahr – bunt und schweißtreibend. Port of Spain (dpa/tmn) – In der Karibik ist der Aschermittwoch längst nicht das Ende der Party. Der Karneval wird zwar auch dort vielerorts […]
Port of Spain (dpa/tmn) – In der Karibik ist der Aschermittwoch längst nicht das Ende der Party. Der Karneval wird zwar auch dort vielerorts mit Umzügen, Trommelwirbel, Kostümen und Tänzen zwischen Meer und Palmen «beerdigt». Doch wer an den Tagen vor der Fastenzeit keine Zeit zum Reisen hat, der findet auf den karibischen Inseln das ganze Jahr lang Faschingsfeste – selbst an den Weihnachtsfeiertagen.
Den Uralt-Hit «Don’t stop the carnival» der Band Alan Price Set praktizieren die Menschen auf den Inseln zwischen dem US-Bundesstaat Florida und Venezuela jedenfalls mit großem Enthusiasmus. Viele der Länder haben einen oder mehrere staatliche Karnevalsfeiertage.
Der Karnevalsgeist brennt
Auf der Insel Dominica: In der Dämmerung tragen junge Männer unter Trommelwirbel den Sarg mit Karnevalsgeist «Tewe Vaval» durch Salybia. Hier an der rauen Ostküste leben knapp 3000 Kalinago – Nachfahren der karibischen Ureinwohner, die vor etwa 2000 Jahren von Südamerika aus die Inseln besiedelten. Sie sind arm, aber stolz auf ihre Herkunft und ihren Widerstand gegen die Eroberer aus Europa.
Es wird dunkel. Sterne funkeln. Mutige Männer springen über die Flammen. Viele starren auf das Feuer. «Tewe Vaval» brennt.
Diese Stunden bedeuten neben der Erinnerung an uralte afrikanische und karibische Traditionen auch Abschied von Karneval, Schlemmen und Alkohol. Nun beginnt – zumindest für viele – die Zeit von Besinnung und vernünftiger Ernährung.
Schwarz-Weiß sind die Farben bei den Feiern der Grand Vidé, des Aschermittwochs, auf Guadeloupe. «Vaval», eine mächtige Puppe aus Stoff und Papier, symbolisiert den Geist des Karnevals und muss im Feuer sterben – wie in Dominica oder auf Martinique, wo am Mittwoch die letzte Stunde für den Karnevalkönig schlägt, der vorher aber noch durch die Straßen chauffiert und gefeiert wird. Zum Sonnenuntergang brennt das Feuer.
Der Sündenbock der Narren
Unzählige Lichter schmücken die fantasievoll dekorierten Wagen bei der Abschiedsparade am späten Faschingsdienstag auf Curaçao. Viele, die schon ab Januar Fastnacht feiern, sind erschöpft, wollen aber noch wenige Stunden durchhalten.
Ab Mitternacht – am jungen Aschermittwoch – brennt die böse, strohgefüllte Puppe Momo im Hafen von Willemstad. Sie ist Symbol für Sünde und Unglück. Dies kennen auch die Karnevalisten in Deutschland: Die Kölner etwa stecken am Dienstagabend ihren Nubbel in Brand – die Strohpuppe muss als symbolischer Sündenbock für die Vergehen der Narren im Karneval den Kopf hinhalten.
Die gute Nachricht ist: Ob Vaval, Momo oder Nubbel – die nächste Wiederauferstehung kommt bestimmt.
Ein Zirkus wie im Rennsport
Bei den Kostümwettbewerben im Februar gleicht das Areal um die Tribünen in Port of Spain, der Hauptstadt von Trinidad und Tobago, einem kleinen Formel-1-Zirkus. Techniker schrauben und hämmern, die Kostüm-«Fahrer», oft Frauen, sind die Stars. Familie, Freunde, Fans und Sponsoren drücken die Daumen. Prüfer begutachten die Gestelle und die Technik. Keiner darf schummeln. Es sind gewaltige Kunstwerke auf Rollen. Zwischen meterhohen Stangen aus Fiberglas steckt ein Mensch, der sich mit diesem Monstrum fortbewegt.
Fast jedes Dorf auf Trinidad und Tobago feiert eine eigene Party. Kaum eine Schule, deren Steelband – die Musiker spielen auf Steel Drums, also Stahltrommeln – nicht im Karneval gewinnen will. Beim Finale vor Aschermittwoch feiern bis zu 400 000 Menschen in Port of Spain bei Soca und Calypso, das ist fast jeder dritte Insulaner.
Seit rund 20 Jahren feiern auch die Jamaikaner Karneval: Der noch junge Bacchanal fasziniert an und nach Ostern. Die Geschichte geht so: Auf Jamaika lebende, vom Fasching besessene Trinidadians konnten nicht in ihre Heimat fliegen und kreierten deshalb spontan den ersten Karneval auf der Insel des Reggae.
Riesenparty in Jamaika
Um mit Trinidad und Tobago nicht zu konkurrieren und mehr Urlauber anzulocken, wurde die Riesenparty in Jamaika – wie auf vielen anderen Inseln auch – zeitlich versetzt.
Im Soca-, Dancehall- und Reggae-Rausch feiern Hunderttausende vor allem in Ocho Rios und der Hauptstadt Kingston. Rum, Cocktails und Bier fließen in Strömen. Würziges Jerk Chicken, Saltfish und Johnny Cake, ein warmes, rundes Maisfladenbrot, munden allen.
Merengue, Salsa und Bajata dröhnen in der Dominikanischen Republik aus den Boxen. Nach vier durchtanzten Wochenenden im Februar wirbeln die «Diablos cojuelos», die hinkenden Teufel, auf der Abschlussparade immer Anfang März durch die Hauptstadt Santo Domingo. Exotische Tier- und Pflanzenmotive und wilde Fantasien zieren die Wagen und Kostüme. Als Stiere verkleidete Narren ziehen in der nordwestlichen Provinz Monte Cristi umher.
Stiere in der Dominikanischen Republik
Das Motiv des Toro, des Stiers, ist auch in San Pedro de Macorís im Süden der Dominikanischen Republik präsent. «Bei uns ist der Karneval authentischer und herzlicher», meint der Elektriker Julio Derreck zu seiner alten Heimat. Inzwischen betreibt er einen Laden auf Anguilla, wo er mehr verdient als in der Dominikanischen Republik.
Julio könnte mehrmals Karneval feiern. Der Fasching in Philipsburg, der Hauptstadt von Sint Maarten ist im Mai, jener im sieben Kilometer entfernten Marigot auf dem französischen Teil Saint Martin steigt im Februar. Die Zwei-Länder-Insel mit ihrem weltbekannten, weil direkt am Strand platzierten Flughafen liegt in Sichtweite von Anguilla – lediglich 25 Fährminuten entfernt.
Erinnerung an die Sklavenzeit
Bei dem Karneval im britischen Überseegebiet Anguilla im Juli und August tanzen die Narren um die halbe Insel. Los geht’s beim Street Jam (J’ouvert) im Morgengrauen: Eine Handvoll Sattelschlepper fährt durch die Straßen, mit dröhnenden Lautsprecherboxen. Oben sitzen die Bands und heizen der Menge ein, die hinter und neben den Fahrzeugen stundenlang tanzt. Nicht alle Kostüme sind bunt und heiter. Junge Leute, schwarz eingeölt und mit Ketten umhängt, erinnern an die Leiden ihrer Vorfahren in der Sklavenzeit.
Auf Kuba wetteifern Havanna und Santiago ganz im Osten um den feinsten Rum und – im Hochsommer – um den besten Karneval. Beim Fasching sei Santiago klarer Sieger, findet der Filmemacher Jochen Beckmann, der seit 25 Jahren auf der größten Karibikinsel lebt. «In Santiago ist der Karneval heißer, karibischer, origineller. Die Leute arbeiten monatelang darauf hin. In Havanna ist es eher verordnet.»
Karneval rund um Weihnachten
Nach der Weihnachtsmesse schnell nach Hause, runter mit dem Kleid, runter mit Schlips und Anzug und rein in die Karnevalsklamotten: So läuft es beim Junkanoo auf den Bahamas. Auch auf St. Kitts und Nevis sowie auf Montserrat wird rund um Weihnachten bis zum neuen Jahr ein bunter und fröhlicher Karneval gefeiert.
Der Grund? An dem christlichen Fest der Kolonialherren hatten die Sklaven aus Afrika seinerzeit kein Interesse. Weihnachten bescherte ihnen aber einen der wenigen freien Tage – und das nutzten sie zum Feiern, mit Trommeln, Gesang und den Riten ihrer Heimat.
Info-Kasten: Der karibische Karnevalskalender
Januar: Puerto Rico (San Juan, San Sebastian Street Festival)
Februar: Aruba, Bonaire, Curaçao (Start schon im Januar), Dominikanische Republik (im Februar jedes Wochenende), Dominica (mit Aschermittwoch), Guadeloupe (mit Aschermittwoch), Martinique (mit Aschermittwoch), Haiti, Puerto Rico, Saint Martin (Marigot, französisch), St. Lucia, Trinidad und Tobago
März: Dominikanische Republik (Finale in Santo Domingo)
April: Jamaika, Sint Maarten (Philipsburg, holländisch), St. Thomas
Mai: Kaimaninseln (Batabano Carnival), Barbados (Crop Over Festival, bis August)
Juni: Dominikanische Republik (San Pedro de Macorís und andere Städte, Fiestas Patronales)
Juli: Antigua, Kuba (Santiago), Saba, St. Eustatius, St. Vincent und die Grenadinen (Vincy Mas), Amerikanische Jungferninseln (St. John), Bahamas (Nassau, Junkanoo Summer Festival)
August: Anguilla (ab Ende Juli, Summer Festival), Grenada, Kuba (Havanna, meist an den Wochenenden)
November: St. Kitts and Nevis (bis Anfang Januar)
Dezember: Bahamas (Junkanoo), Montserrat, Amerikanische Jungferninseln (Santa Cruz)
dpa/tmn bku xx a3 xlt neb amc