Grüne Berge: Wandern im Atlantik auf den Kapverdischen Inseln
Die Kapverdischen Inseln bieten auf Sal und Boavista weiße Sandstrände, türkisfarbenes Meer und All-inclusive-Hotels für Hochzeitspaare. Das Kontrastprogramm wartet auf Santo Antão. Porto Novo (dpa/tmn) – Puderweiße Strände sucht man auf Santo Antão vergebens. Bettenburgen gibt es nicht, auch keine adretten Paare in den Flitterwochen. Hier auf der nordwestlichsten der Kapverdischen Inseln im rauen Atlantik […]
Porto Novo (dpa/tmn) – Puderweiße Strände sucht man auf Santo Antão vergebens. Bettenburgen gibt es nicht, auch keine adretten Paare in den Flitterwochen. Hier auf der nordwestlichsten der Kapverdischen Inseln im rauen Atlantik greifen Reisende besser zu Wanderschuhen als Flipflops und zu Funktionskleidung statt Bikini.
Mehr als 100 gut ausgeschilderte Wanderwege locken nach Santo Antão, manche führen an der Steilküste vorbei, woanders geht es durch Terrassenfelder und Bergdörfer. Einen Flughafen gibt es nicht, man muss mit der Fähre von der Nachbarinsel São Vicente übersetzen.
In Porto Novo, Santo Antãos Hauptstadt, legen die Boote an. Tarrafal? Ponta del Sol? Die Fahrer der Minibusse stehen dicht gedrängt, halten Pappschilder hoch und preisen ihre Ziele an. Sammeltaxis sind die beste Möglichkeit, auch zu den entlegensten Teilen der Insel zu kommen, teils über rumplige Schotterpisten.
Erkundungen im hohen Norden
Mit Odair, kurz Day, Fahrer und Touristenführer in einer Person, geht es in die nördlichste Stadt Santo Antãos, nach Ponta do Sol – zum Sonnenpunkt. «Wir fahren die Strecke über Cova durchs Landesinnere, die Küste ist zu langweilig», sagt der junge Mann. Die karge Berglandschaft wird bald grüner, am Straßenrand wachsen Aloe-Vera-Büsche, in der Ferne gibt es palmenbestandene Oasen.
«Hier hat jedes Dorf eine katholische Kirche, eine Grundschule und einen Fußballplatz», erzählt Day. In einer Ortschaft hält er an, verschwindet in einem Haus und kommt mit einem Ziegenkäse zurück. Dazu öffnet er eine Flasche mit selbst gemachtem Passionsfruchtpunch. «Willkommen auf Santo Antão!»
Ponta do Sol – ein Dorf mit bunten Häusern, ein paar Geschäften, Bars und Restaurants – macht seinem Namen mit einem farbenfrohen Sonnenuntergang alle Ehre. Noch besser: Der Ort ist Ausgangspunkt für eine der schönsten Küstenwanderungen, und zwar über Fontainhas, das als das malerischste Dorf der Kapverden gilt.
Klippenwandern an der Steilküste
Früh am nächsten Morgen geht es an Schweineställen vorbei, auf einem Weg direkt über dem Atlantik. Bei Fontainhas etwas landeinwärts quält sich irgendwann die Sonne über die Berge. Flauschige Wolken ziehen vorbei, bunte Häuschen stehen in den Terrassenfeldern.
Im nächsten Dorf, Corva, überrascht ein Kiosk mit Wänden voller Fußballschals. «Ich bin ein großer Bayern-München-Fan», erzählt der Verkäufer und tippt auf den passenden Schal. Dann geht es über dem tosenden Atlantik weiter nach Cruzinha, Ziel der gut fünfstündigen Wanderung. Wer sicher sein will, von dort wegzukommen, sollte vorab die Abholung mit einem Fahrer wie Day vereinbaren.
Tatsächlich steht sein weißer Toyota schon parat. Day lichtet gerade vor der Steilküste eine junge Frau ab, die auch Miss Kapverden sein könnte. Die Schönheit namens Selena kommt allerdings aus den USA. Sie lebt seit ein paar Jahren auf Santo Antão, um Bücher zu schreiben.
Auf dem Rückweg nach Ponta do Sol liegt eine Grog-Fabrik: das Nationalgetränk der Kapverdianer aus Rum, Zucker und heißem Wasser, das Touristen schon nach ein paar Schlucken den Kopf verdreht.
Hinein in die grünen Berge
Bei der Wanderung am Folgetag ist Selena dabei: Sie führt ab dem Vulkankrater Cova de Paúl südlich von Ponta do Sol über steinige Serpentinenwege tief hinein in die grüne Berglandschaft, die steil zum Meer hin abfällt. Die Ausblicke sind von enormer Schönheit. Könnte ein einziger Blick satt machen wie die Cachupa rica – das Nationalgericht der Kapverden, ein Eintopf aus Bohnen, Kartoffeln und Fleisch – müsste man danach lange nicht mehr essen.
Auf den terrassenförmigen Feldern pflanzen die Bauern Zuckerrohr an, sie schneiden die langen Rohre ab und kauen dabei auf dem süß-klebrigen Zeug herum, als wäre es Kaugummi.
Selena schimpft über die kapverdianischen Männer, die sie allesamt für Machos hält. «Weißt du, warum die Frauen hier immer so verdrießlich aussehen? Wegen der ständigen Pfiffe und Anmachen, die sie leid sind!» Ansonsten sei sie auf der Insel aber sehr glücklich, auch wenn es vieles nicht gebe. «Ist zum Beispiel mein Laptop kaputt, finde ich hier keinen Menschen, der ihn repariert.»
Das letzte Stück bis Villa de Pombas ist zwar eben, dafür aber umso länger. Schummeln ist erlaubt. Ein Pick-up-Fahrer ist gewillt, müde Wanderer für umgerechnet einen Euro mit ins Dorf zu nehmen.
Eine Oase in der Wüste
Um an die wilde Westküste Santo Antãos zu gelangen, fahren die potentesten Geländewagen der Insel von Porto Novo bis nach Tarrafal. Die Fahrt beginnt, wenn das Gefährt voll ist. Vielleicht in fünf Minuten, in 30 oder in zwei Stunden. Irgendwann holpert der Wagen los, auf der Ladefläche Einheimische, allesamt völlig eingemummt.
Bald ist klar, warum: Am Ende der Fahrt ist alles, was nicht im Wageninneren verstaut war, so staubig wie die Landschaft. Ab dem Vulkan Tope de Coroa, mit 1979 Metern der höchste Berg der Insel, windet sich der Weg wie eine Schlange durch gelbe Felder nach unten, bis er auf den letzten Kilometern zur Schotterpiste mutiert.
Dann erscheint eine grüne Oase: Tarrafal. Das gefühlte Ende der Welt. Der gebürtige Spanier Tomas führt hier ein Bed-and-Breakfast.
«Wusstest du, dass Santo Antão die wasserreichste Insel der Kapverden ist? Wir haben so viel davon, dass wir es sogar nach São Vicente liefern», erzählt er. Dafür gebe es durchgehend Strom in Tarrafal erst seit 2015. «Vorher hatten wir etwa sieben Stunden pro Tag Strom.» Das Dorf besteht aus wenigen Häusern, die sich die Küste entlangziehen, sowie aus einem pechschwarzen Sandstrand.
Tomas erweist sich auch als vorzüglicher Koch: Zum Abendessen gibt es Beinchen mit Krallen. Wie bitte? Die Spezialität heißt Percebes, Entenmuscheln, eine Krebsart. Man nehme ein Bein, breche die Krallen ab und halte es sich an den Mund, um die darin befindliche, salzig-süße Masse herauszusaugen. Schmeckt tatsächlich köstlich.
Mit Binga die Insel kennenlernen
Pünktlich zum Frühstück steht ein von Tomas organisierter Wanderführer bereit. «Alle nennen mich Binga – nicht Bingo!» Binga spricht nur seine Muttersprache Portugiesisch, die aber viel und schnell. Er sei fast 35 Jahre alt und in Tarrafal geboren. «Ich kann alles, von Autos reparieren bis Felder abernten», stellt er fest.
Binga deutet den Weg die Küste entlang, in Richtung des nächsten Dorfes: Monte Trigo. Die Erde ist vulkanschwarz. Wie auch im Norden fallen die Klippen im Westen steil zum Meer ab.
Statt Wanderer in Schuhen mit Profilsohle sind nur einheimische Frauen unterwegs, die mit schwer beladenen Eimern auf den Köpfen über die Steine tänzeln. Binga: «Schon Schulkinder müssen jeden Tag runter ins Dorf kraxeln und wieder zurück. Meistens tragen aber bloß Frauen Sachen auf dem Kopf, Männer in der Hand.»
Auf die Frage, ob er verheiratet sei, schüttelt Binga den Kopf. «Ich habe zwei Kinder, aber ich lebe nicht mehr mit der Frau zusammen. Wir waren nie verheiratet.» Es sei nicht üblich, kirchlich zu heiraten. Man lebe einfach zusammen, und nach sechs Monaten fühle man sich wie verheiratet.
Meeresschildkröten und Ackerbau
Der Weg führt vorbei an Steinmauern und über steinerne Wege, die laut Binga von den portugiesischen Kolonialherren in Auftrag gegeben und immer wieder erneuert wurden. Schließlich weist der Guide auf einen Strand: «Dort arbeite ich von Juni bis Oktober, ich habe ein Schildkrötenschutzprogramm ins Leben gerufen.» Er will den Fischern klarmachen, dass Meeresschildkröten geschützt werden müssen.
Weiter im Hinterland breitet sich Ackerland aus. «Die Familien hier leben entweder von der Fischerei, Landwirtschaft oder von Ziegen», so Binga. In Tarrafals saftiger Oase plätschert überall Wasser, es grünt und wächst, und viele Bauern ackern auf ihren Feldern. Meist werden Jamswurzeln angepflanzt, aber auch Maniok, Kartoffeln, Zwiebeln, Papaya, Bananen und andere Südfrüchte.
Für den Rückweg nach Porto Novo will der Pick-up-Fahrer wenige Tage später am frühen Morgen wieder vorbeikommen. Sein Wort gilt als Garantie. Während die Schotterpiste die Inselbesucher wachrüttelt, geht die Sonne langsam hinter der Wüste auf – über einer Insel, die eine Perspektive abseits des Touristenkitsches bietet.
Info-Kasten: Kap Verde
Anreise: Ab Deutschland erfolgt die Anreise über Lissabon, etwa mit TAP oder Lufthansa. Internationale Flughäfen gibt es in der Hauptstadt Praia oder auf São Vicente.
Klima und Reisezeit: Hauptreisezeit ist von November bis Juni. Dann ist es trocken, sonnig und bis zu 35 Grad warm. Zwischen Februar und April hat man viele Wanderwege ganz für sich.
Corona-Lage (1.10.2020): Das Auswärtige Amt warnt aufgrund der Einschränkungen im Luftverkehr und des öffentlichen Lebens vor Reisen nach Kap Verde. Alle Grenzen seien bis auf weiteres geschlossen, der kommerzielle Flugverkehr sei noch ausgesetzt.
Übernachtung: Einzel- oder Doppelzimmer in Bed-and-Breakfasts bekommt man auf Santo Antão für etwa gut 20 Euro pro Nacht. Die wenigen Vier-Sterne-Hotels kosten rund 60 bis 70 Euro (Doppelzimmer).
Geld: Die Landeswährung ist der Cabo Verde Escudo (CVE), den man am Geldautomaten oder in Banken bekommt. Größere Hotels akzeptieren meist Kreditkarten oder Euro.
Gesundheit: Selten gibt es Fälle von Dengue und auf manchen Inseln Malaria, allerdings nicht auf São Vicente oder Santo Antão.
Informationen: www.capeverde.com
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