Schnittig durch den Wind – Wie der cw-Wert den Verbrauch beeinflusst Von Thomas Geiger, dpa
Design ist nicht nur eine Frage der Ästhetik, sondern auch der Effizienz. Für geringere Emissionen in realistischen Prüfverfahren rückt zusehends auch der Luftwiderstand in den Fokus der Entwickler, denn eine schnittige Karosserie gibt es quasi zum Nulltarif. Stuttgart/Ingolstadt (dpa/tmn) – Sie kämpfen um jedes Kilo Gewicht, elektrifizieren die Antriebe und programmieren vorausschauende Assistenzsysteme – im […]
Design ist nicht nur eine Frage der Ästhetik, sondern auch der Effizienz. Für geringere Emissionen in realistischen Prüfverfahren rückt zusehends auch der Luftwiderstand in den Fokus der Entwickler, denn eine schnittige Karosserie gibt es quasi zum Nulltarif.
Stuttgart/Ingolstadt (dpa/tmn) – Sie kämpfen um jedes Kilo Gewicht, elektrifizieren die Antriebe und programmieren vorausschauende Assistenzsysteme – im Kampf gegen den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeuge ziehen die Entwickler der Autohersteller alle Register. Immer öfter holen sie dabei auch die Designer ins Boot und ringen mit ihnen um eine besonders windschnittige Form für einen besseren cw-Wert.
Dieser Strömungswiderstandskoeffizient gibt Aufschluss über die Widerstandskraft, den ein umströmter Körper bietet. Vereinfacht ausgedrückt: je niedriger der cw-Wert, desto weniger Luftwiderstand bietet eine Karosserie. «Denn der Luftwiderstand einer Karosserie hat einen großen Einfluss auf den Verbrauch», sagt Prof. Lutz Fügener von der Hochschule Pforzheim. Je leichter der Fahrtwind den Wagen umströmt, je weniger Widerstand sich ihm entgegenstellt und je weniger Wirbel sich bilden, desto weniger Energie wird benötigt, um dagegen anzukämpfen.
Und mehr noch als auf dem Prüfstand gilt das in der Praxis, vor allem bei höheren Geschwindigkeiten: «Eine Verbesserung des cw-Wertes um 0,01 bedeutet im Prüfzyklus immerhin ein Gramm CO2 weniger Verbrauch», erläutert Teddy Woll, der bei Mercedes die Aerodynamik-Entwicklung leitet. Im Realverbrauch bringe diese Verbesserung allerdings schon zwei Gramm. Und weil der Einfluss des cw-Wertes mit der Geschwindigkeit steige, klettert die Einsparung bei Tempo 150 sogar auf fünf Gramm weniger CO2 pro Kilometer, sagt Woll.
Das erklärt, weshalb Woll zuletzt mit der Limousine der A-Klasse über mehrere Wochen im Windkanal war – und dabei mit einem besonders gründlich verkleideten Unterboden, speziellen Felgen, strömungsgünstigen Spiegeln und vielen kleinen, kaum sichtbaren Kanten oder Linien ein rekordverdächtiges Ergebnis erzielt hat: Mit einem cw-Wert von 0,22 feiern die Schwaben das kleine Stufenheck als strömungsgünstigstes Serienauto der Welt.
Zum Vergleich: Ein G-Klasse-Geländewagen hat etwa 0,5. «Die Reduktion des cw-Wertes um 0,03 Punkte wie von der fünftürigen A-Klasse zur Limousine bringt im NEFZ 2,5, im WLTP-Zyklus 4,0 und bei konstanter Autobahnfahrt mit 140 km/h 12,0 Gramm CO2 oder einen halben Liter Sprit», rechtfertigt Woll den Feinschliff im Windkanal.
Allerdings ist der cw-Wert alleine nicht aussagekräftig, sondern man muss ihn mit der Stirnfläche des Fahrzeugs multiplizieren, schränkt Woll ein und präsentiert dann überraschende Ergebnisse: Dann ist die A-Klasse in etwa so windschnittig wie ein Radler, der aufrecht auf seinem Hollandrad sitzt.
Auch andere Hersteller machen viel Wind um die Aerodynamik. Audi-Designchef Marc Lichte zum Beispiel war noch nie so oft im Windkanal wie für die Gestaltung des ersten Elektroautos der Marke.
«Der E-Tron ist weniger im Studio als hier im künstlichen Sturm gezeichnet worden», sagt Lichte mit Blick auf die großen Turbinenräder, mit denen man Windgeschwindigkeiten von weit mehr als 200 km/h erzielen kann. Denn zum einen empfinden die Passagiere in einem ansonsten stillen E-Auto Windgeräusche als besonders störend. Und zum anderen lässt sich so etwas mehr Reichweite aus der Batterie kitzeln, erläutert der Designchef und verweist auf ein paar Details: So ist der Unterboden nicht nur verkleidet, sondern hat wie ein Golfball zahllose Dellen, die besser für den cw-Wert sind.
Im Gegensatz zu vielen anderen Disziplinen der Effizienzsteigerung hat die Aerodynamik einen entscheidenden Vorteil, sagt Mercedes-Mann Woll: «Es gibt sie quasi zum Nulltarif».
Zwar investieren die Hersteller Millionen in Windkanäle und die Entwickler sitzen oft monatelang für Simulationen am Rechner. Doch während man zur Gewichtsreduktion teure Materialien braucht und für die Elektrifizierung des Antriebs viel Geld in die Hand nehmen muss, kostet eine strömungsgünstige Karosserie im Grunde nicht mehr als eine mit großem Luftwiderstand, sagt Woll. «Hätte man bei der A-Klasse die gleichen 12 Gramm CO2-Einsparung auf der Autobahnfahrt über das Gewicht erzielen wollen, hätte man dafür 500 Kilogramm aus dem Wagen heraus und viel Geld in die Hand nehmen müssen.»
Das stimmt allerdings nur zum Teil. Denn mit der zunehmenden Bedeutung der Aerodynamik wächst auch ihr Budget, und die Entwickler leisten sich immer öfter sogar aktive Systeme, mit denen der Luftwiderstand beeinflusst werden kann. Jalousien, die nur dann Luft durch den Kühler streifen lassen, wenn der Motor sie wirklich benötigt, sind deshalb mittlerweile bereits weit verbreitet. Und dass viele Oberklasse-Geländewagen eine Luftfederung haben, liegt nicht allein am Komfortversprechen. Sondern auch daran, dass man den Wagen dann auf der Autobahn um ein paar Zentimeter absenken und so die Stirnfläche und mit ihr den Verbrauch reduzieren kann.
Das gilt auch für den neuesten Schrei der Aerodynamiker – den elektronischen Außenspiegel. Bislang vor allem bei Designstudien eingesetzt, montiert Audi nun beim E-Tron zum ersten Mal in der Großserie Videokameras statt Spiegel und gewinnt allein über den geringengeren Luftwiderstand 35 Kilometer Reichweite.
Mit Feinschliff alleine sind zwar richtig große Sprünge beim cw-Wert nicht mehr zu machen, schätzt Designprofessor Fügener. Er glaubt, dass man für radikale Einsparungen auch radikale Formen etwa mit extrem langen und schlanken Heckkonstruktionen braucht, die aber weder praktisch sind noch zum gängigen Geschmack passen. Doch Mercedes-Mann Woll ist überzeugt, dass die Entwicklung weitergeht: Je größer der Leidensdruck in Sachen C02 werde, desto weiter werde der Luftwiderstand sinken. «Bis wir die 0,2er-Marke bei einem Serienauto knacken, ist es deshalb nur noch eine Frage der Zeit.»