Der Newcomer aus Estland betreibt unter dem eigenen AOC derzeit eine A320neo und setzt darüber hinaus in diesem Sommer noch sechs weitere Airbusse im Wetlease ein – und das bevorzugt von und nach Deutschland. Vertriebshilfe leistet die Unternehmenschwester Condor.

Der britische Investor Attestor hat vor wenigen Monaten die Condor-Schwester Marabu aus dem Boden gestampft. Seither gibt es immer wieder Probleme: Flugstreichungen, Verspätungen, zu wenig Plätze im Flieger, zurückgelassene Koffer. Viele Reisende sind verärgert und lassen ihren Frust in den Sozialen Medien aus. Marabu sieht sich hingegen nach einem holperigen Start auf einem guten Weg. AERO International hat Marabu-Chef Paul Schwaiger über die Anfangsschwierigkeiten und die Zukunft gesprochen.

Marabu-Chef Paul Schwaiger im Gespräch mit AERO International

AERO International: Ende April/Anfang Mai hatten Sie mit operationellen Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen. Der offizielle Start lief nicht so, wie Sie es sich gewünscht haben. Was waren die Gründe dafür?

Paul Schwaiger: Die größte Herausforderung sind die teilweise verzögerten Auslieferungen der nächsten Flugzeuge, die wir vorübergehend durch kurzfristig von anderen europäischen Airlines angemietete Flugzeuge ersetzen müssen. Dazu kam nach den ersten pünktlichen Flügen Mitte April ein technischer Mangel, dessen Korrektur unser erstes Flugzeug für zwei Tage am Boden gehalten hat. 

Marabu ist mit Vertriebs-Unterstützung der Condor an den Start gerollt. Wie verkaufen sich Ihre Kapazitäten?

Im Moment fliegen wir noch keine Strecken ausschließlich im Vollcharter, das kann aber durchaus noch kommen. Wir sind mit Condor als Generalagenten so aufgestellt, dass wir natürlich den Verkaufsmix bevorzugen, den auch Condor präferiert – eine Mischung aus Fixkontingenten, aus Volumenkontingenten ohne Abnahmepflicht und Einzelplatzverkauf. Das funktioniert sehr gut, und damit sind wir auch gut aufgestellt. 

Produzieren Sie günstiger als die Großen der Branche?

Das müssen wir. Wer tritt schon neu im Ferienflug mit einem teuren Produkt an? Das würde doch von den Reiseveranstaltern gar nicht angenommen. Wir arbeiten an einer sehr guten Kostenstruktur, um wirtschaftlich fliegen zu können. Aber wir bieten auf gar keinen Fall ein Billigprodukt an!

Welche Rolle spielt da die Standortwahl Estland?

Eine wichtige. Estland ist meiner Erfahrung nach eines der modernsten europäischen Länder. Es hat die Gunst der Stunde genutzt, sich seit 1991 sehr zukunftsweisend und innovativ aufzustellen – insbesondere im Bereich Digitalisierung. Die Branche überlegt doch grundsätzlich, wie das Fliegen und Reisen für Touristen noch angenehmer gestaltet werden kann, wobei die Digitalisierung eine wichtige Rolle spielt. Und in diesem Bereich können wir hier in Estland noch eine Menge lernen. 

Kritiker wie die Vereinigung Cockpit sprechen dagegen gerne von einem „Panama der Luftfahrt“ …

Also, eines kann ich Ihnen versichern: Steuerliche Gründe hatten ganz sicher nicht oberste Priorität. Ich gebe zu: Lebenshaltungs- und Lohnkosten sind niedriger als in Deutschland. Aber wir sind ohnehin nur ein sehr kleines Team; konzentriert auf die wesentlichen Funktionen, die nötig sind, um einen ordentlichen Flugbetrieb abdecken zu können. Außerdem haben wir Servicevereinbarungen mit der Nordica geschlossen – einer Airline, die dem Staat gehört, als Wetlease-Provider agiert und von der wir auch drei Flugzeuge gemietet haben. Crewplanung, OPS Control oder Maintenance finden überwiegend in Estland statt. 

Gestartet ist Marabu Airlines in München und Hamburg. Doch wird sie in Zukunft auch ihr Glück in der Nische suchen und ab kleineren deutschen Flughäfen fliegen?

Das ist durchaus denkbar. Allerdings haben wir die Planungen für den Winter und den kommenden Sommer noch nicht abgeschlossen. Da bitte ich noch um etwas Geduld. Wir müssen genau schauen, wie sich die Marktsituation an den Flughäfen entwickelt.

Gerade die Reiseveranstalter haben vor Corona gerne mit kleinen, unabhängigen Airlines ab den Regionalflughäfen zusammengearbeitet, obwohl eigene Carrier zum Konzern gehören, Stichwort: die mittlerweile nicht mehr existierende Germania …

Das ist richtig. Die großen Ferienfluggesellschaften können schließlich nicht alle Strecken selbst und dann auch noch wirtschaftlich bedienen. Doch das ist unsere Chance, da sehe ich für Marabu durchaus Spielraum.