Die Milliardenrechnung für Berlins „Fluchhafen“

Berlin/Schönefeld Es sind Stunden der Wahrheit für die Krisenmanager: Können Kosten und Zeitplan beim neuen Berliner Großflughafen unter Kontrolle gehalten werden? Dem Aufsichtsrat wird eine heikle Rechnung vorgestellt. Eigentlich sollte jetzt die Zeit der ersten großen Bewährungsprobe sein für den nagelneuen Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt – mit einem Passagieransturm an den schmucken Check-in-Schaltern zum […]
Berlin/Schönefeld
Es sind Stunden der Wahrheit für die Krisenmanager: Können Kosten und Zeitplan beim neuen Berliner Großflughafen unter Kontrolle gehalten werden? Dem Aufsichtsrat wird eine heikle Rechnung vorgestellt.
Eigentlich sollte jetzt die Zeit der ersten großen Bewährungsprobe sein für den nagelneuen Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt – mit einem Passagieransturm an den schmucken Check-in-Schaltern zum Auftakt der Sommerferien in der Hauptstadtregion. Doch nach der Blamage der geplatzten Eröffnung am 3. Juni ist kein Reisender im riesigen Terminal. Und zum Härtetest wird der einst geplante Betriebstag Nummer 20 nur für die Manager. Dem Aufsichtsrat muss Flughafenchef Rainer Schwarz eine unangenehme Rechnung aufmachen: Das Vorzeigeprojekt wird zum Milliardenloch.
Dass die mittlerweile zweite Verschiebung des Starttermins für Deutschlands drittgrößten Airport teuer wird, war den Kontrolleuren schon klar. Bei der Krisensitzung am Freitag auf der eingezäunten Großbaustelle in Schönefeld sollte nun aber ein genauerer Überblick her. Die ernüchternde Kalkulation: Die Gesamtkosten dürften um gut eine Milliarde Euro auf mehr als vier Milliarden Euro abheben.
Das liegt zum einen daran, dass die ersten Jets am «modernsten Flughafen Europas» nun erst mit neun Monaten Verspätung starten sollen. Als Zieldatum, auf das alle Planungen zulaufen, ist der 17. März 2013 errechnet worden – nicht alle sind froh, dass damit schon wieder ein neuer Tag X hohen Erwartungsdruck schürt. Bis dahin sollen der jetzt schon aus allen Nähten platzende Airport Tegel und der Ex- DDR-Zentralflughafen Schönefeld offen bleiben, wo in Sichtweite zum neuen Großflughafen vor allem Billigflieger abheben. Voraussichtliche Kosten für den Interimsbetrieb: 150 Millionen Euro.
Die Liste der weiteren Zusatzkosten ist lang, wenn auch noch nicht überall exakt vorherzusehen. Einkalkuliert werden soll zunächst wohl eine Größenordnung von bis zu 200 Millionen Euro, um Forderungen nach Schadenersatz abzudecken. Vor allem die Fluggesellschaften haben unerwartete Ausgaben. «Und die werden wir dem Flughafen in Rechnung stellen», hieß es gleich nach dem verpatzten Eröffnungstermin von der Lufthansa. Detailliert beziffert hat Ansprüche aber etwa auch die Bahn noch nicht, die unter dem Terminal einen Bahnhof ansteuern will.
Die reinen Baukosten – mit 2,5 Milliarden Euro angesetzt – dürften mittlerweile nicht mehr nur knapp 3 Milliarden Euro, sondern eher 3,4 Milliarden Euro erreichen. Dabei umfasst der Finanzierungsrahmen des ehrgeizigen Gesamtprojekts bisher maximal 3,36 Milliarden Euro, davon 2,4 Milliarden Euro aus Krediten. «Wir sind da an der Kante», hatte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) schon Mitte Mai angedeutet, der Chef des Flughafen-Aufsichtsrats. Die Frage lautet: Müssen der Bund, Berlin und Brandenburg als Gesellschafter womöglich noch Geld nachschießen? Und woher käme das Geld?
Zu einem enormen Kostenblock wächst sich nämlich auch der Lärmschutz rund um den Flughafen mit dem Drei-Buchstaben-Kürzel BER aus. Bis zu 600 Millionen Euro mehr als geplant könnten dafür zu Buche schlagen. Und das hat ausnahmsweise nichts mit Bauproblemen wie der tückenreichen Brandschutzanlage zu tun, die alle Pläne nun so heftig durcheinanderwirbelt. Die Nachbesserungen beim Schallschutz hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verhängt.
Nach Vorwürfen, nicht genau genug hingeschaut zu haben, wollen die Aufsichtsräte nun demonstrativ einen scharfen Blick auf den Zeitplan haben. Falls «nur der geringste Zweifel» aufkommen sollte, müsse über den Termin 17. März 2013 noch einmal geredet werden, hatte der Vertreter des Bundes, Verkehrsstaatssekretär Rainer Bomba, schon vor der Sitzung klar gemacht. Im Tagungsraum wurden dafür auch Experten von Baufirmen befragt – stundenlang.
Um die Mammutaufgaben in den Griff zu bekommen, soll auch rasch wieder ein Nachfolger des gefeuerten Technikchefs Manfred Körtgen an Bord kommen. Dafür sollte Horst Amann verpflichtet werden, bisher Chefplaner der Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport. Doch auch der Neue muss sich erst einarbeiten – die nächste Bewährungsprobe.
Quelle: Sascha Meyer und Leticia Witte, dpa