Laut Oleksiy Dubrevskyy, CEO des Flughafen Kiew-Boryspil, kann der größte Flughafen der Ukraine jederzeit mit nur wenig Vorlauf den vollen Betrieb aufnehmen. Doch zunächst einmal muss es die Sicherheitslage zulassen.

Die Verhandlungen laufen, vielleicht kann Russland ein Waffenstillstand, vielleicht sogar ein Frieden abgerungen werden. Millionen der ins Ausland Geflüchteten könnten in ihre Heimat zurückkehren und der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur beginnen.

Nicht zuletzt deshalb rechnet der CEO des Flughafens Kiew-Boryspil, Oleksiy Dubrevskyy, nach Beendigung des Kriegs mit einer starken Nachfrage nach Flügen in die Ukraine. Sein Airport wäre wieder das wichtigste Tor zum Land und darüber hinaus ein starker Motor beim Wiederaufbau, wie er im Interview verrät.

Oleksiy Dubrevskyy, CEO des Flughafen Kiew-Boryspil.
Oleksiy Dubrevskyy, CEO des Flughafen Kiew-Boryspil, rechnet damit, dass der Flugverkehr nach dem Ende des Krieges sprunghaft ansteigen wird. Sein Airport wäre vorbereitet. Bild: Kurt Hofmann

AERO INTERNATIONAL. Wie ist die Lage am größten Flughafen der Ukraine, Kiew-Boryspil?

Oleksiy Dubrevskyy: Seit dem 24. Februar 2022 ist der ukrainische Luftraum gesperrt. Seitdem findet bei uns, wir sind immerhin das wichtigste Tor zur Ukraine und ein rein ziviler Flughafen, kein Betrieb mehr statt. Keine Flüge, keine Passagiere, kein Motorenlärm: Somit können wir auch keine Einnahmen generieren. Wir mussten unsere Strategie von Wachstum und nachhaltigem Betrieb hin zu Resilienz und Überleben umstellen. Wir müssen unseren Standort schützen und erhalten. Dazu gehören 1000 Hektar kritische Infrastruktur, zwei Flugfelder und mehr als 300 Einrichtungen, die wir betreuen.

Wie sieht die neue Strategie genau aus?

Erstens müssen wir unsere hochqualifizierten Mitarbeiter halten. Vor dem Krieg haben mehr als 4000 Menschen am Flughafen gearbeitet. Aktuell sind es 3500, doch wir haben keine Stellen abgebaut. Mehr als 80 Prozent unserer Mitarbeiter sind beurlaubt, und wir zahlen ihnen weiterhin zwei Drittel ihres Gehalts. Je nach Saison und Art der Tätigkeit arbeiten täglich zwischen 650 und 700 Menschen am Flughafen. Monatlich rotieren 500 Mitarbeiter, um ihre Qualifikationen, Schulungen und Übungen zu erhalten und die Verbindung zum Unternehmen aufrechtzuerhalten, damit sie für einen schnellen Neustart bereit sind.

Wie schützen Sie die Infrastruktur?

Zahlreiche technische Anlagen und Ausrüstungen müssen gewartet werden. Als wichtigster Flughafen des Landes, der vor Kriegsbeginn mehr als 65 Prozent des gesamten ukrainischen Verkehrs und mehr als 85 Prozent des Frachtaufkommens abgewickelt hat, müssen wir jederzeit für die Wiedereröffnung bereit sein. Die Bereitschaft ist innerhalb unserer Belegschaft sehr hoch. Wir bräuchten etwa drei Wochen, maximal einen Monat, um die letzten Vorbereitungen für Linienflüge zu treffen. Bei Überführungsflügen benötigen wir im Sommer 24 Stunden, im Winter 48 Stunden. Alle Beteiligten in der Ukraine leisten hervorragende Arbeit, um die operative Einsatzbereitschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette auf höchstem Niveau zu halten.

Analysieren Sie auch kommerzielle Strategien, sobald der Luftraum wieder geöffnet ist?

Ein schneller Neustart ist nicht unser einziges Ziel; wir wollen auch unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten, um langfristig mit wichtigen Flughäfen in der Region und großen Drehkreuzen in ganz Europa, darunter Istanbul, Warschau oder Budapest, konkurrieren zu können. Gerade jetzt, mit geschlossenem Luftraum und Flugausfällen, hat sich die Marktlandschaft hinsichtlich des Volumens, der Konnektivität und der Airline-Struktur verändert. Laut Daten der Vereinten Nationen sind mehr als 6,5 Millionen Ukrainer auf der Suche nach Schutz aus dem Land geflohen, hauptsächlich in europäische Länder, während gleichzeitig sieben Millionen Ukrainer innerhalb des Landes vertrieben worden sind. UN-Daten zufolge werden 30 bis 40 Prozent dieser Menschen in ihre Heimat zurückkehren, sobald die Sicherheitslage es zulässt. Dies wird eine Art von Verkehr erzeugen, den wir in diesem Ausmaß noch nie zuvor hatten. Beim VFR-Verkehr (Visiting Friends and Relatives, Anmerk. d. Red.) handelt sich um ein neues Marktsegment, das ein wichtiger Motor für die Wiederaufnahme des Flugbetriebs sein und neue Wege für die Markterholung eröffnet. Die Ukraine muss darauf vorbereitet sein – und auch auf die Rückkehr von Flüchtlingen über unsere Flughäfen.

Wird dieser für Ihren Flughafen neue Markt nachhaltig sein?

Dieses Segment wird ohne wesentliche Veränderungen stark bleiben, weil wir aufgrund der aufgestauten Nachfrage an unsere Marktchancen glauben. Mit der Liberalisierung unseres Luftraums gibt es für Flüge nach Europa keine Einschränkungen mehr. Wir sollten auch die Infrastrukturprojekte nach dem Krieg nicht außer Acht lassen – Investitionen, die die Wiederaufnahme des Flugverkehrs ebenfalls vorantreiben werden. Das Interesse an der Ukraine wird nach dem Krieg drastisch steigen, auch im Tourismusbereich.

Wird die Luftfahrt eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Ukraine spielen?

Das ist ein Punkt, den ich unterstreichen möchte. Wenn wir das wirtschaftliche Profil des Flughafens Kiew-Boryspil und seine Einfluss auf die nationale Wirtschaft betrachten, schafft Boryspil allein rund 132.000 Arbeitsplätze und trägt fast zwei Prozent zum BIP bei, etwa 1,6 Milliarden Euro, die uns aufgrund der Luftraumsperrung derzeit fehlen. Wenn der Frieden zurückkehrt, werden die ukrainischen Flughäfen eine entscheidende Rolle spielen – nicht nur logistisch und für die Integration der Ukraine in die Europäische Gemeinschaft, sondern auch als Wirtschaftsmotor.

Wie wichtig sind die Aussagen von Ryanair, AirBaltic oder Wizz Air, die alle versprechen, den Betrieb so schnell wie möglich aufnehmen zu wollen?

Sie sind sehr wichtig, und wir schätzen das Interesse unserer internationalen Partner und Airlines sowie der ukrainischen Fluggesellschaften. Letztere leiden stark unter den Herausforderungen des Kriegs und ihrer Tätigkeit im Ausland; sie träumen von einer Rückkehr auf den heimischen Markt. Wir sind offen für jede Fluggesellschaft, die mit uns zusammenarbeiten möchte. Und unser Vertriebsteam leistet hervorragende Arbeit, indem es täglich mit unseren Partnern kommuniziert.

Ryanair sagt, die Ukraine werde für sie extrem wichtig sein und sie plant, viele Flugzeuge dort zu stationieren …

Ich bin sicher, dass es so sein wird. Nach dem, was wir von unseren Airline-Partnern hören, verfügen sie über ausreichend Potenzial und Ressourcen für einen schnellen Neustart auf dem ukrainischen Markt. Aber es hängt auch stark von der Ukraine selbst ab – von den Luftfahrtbehörden, dem Flugsicherungsdienst, den Flughäfen, unserem Ministerium und unserer Teamarbeit –, wie schnell wir auf all diese Veränderungen reagieren und uns an die neue Realität anpassen können. Trotz aller Herausforderungen sind wir weiterhin widerstandsfähig. Wir sind hochmotiviert und optimistisch. Wir werden diesen Krieg überstehen, so schnell wie möglich zu unserem Geschäftsbetrieb zurückkehren und uns weiterhin für das europäische Transport- und Logistiknetzwerk engagieren.