Philipsburg, 18. September 2018 Vor einem Jahr fegte Hurrikan „Irma“ über St. Martin und zerstörte weite Teile der kleinen Karibikinsel. Der Wiederaufbau dauert noch an, doch viele Hotels sind schon wieder offen. Was erwartet Urlauber, die jetzt auf die Insel kommen? Ein Besuch vor Ort. Aus dem türkisblauen Meer ragen grüne Hügel. Glitzernde Wellen rollen […]

Philipsburg, 18. September 2018

Vor einem Jahr fegte Hurrikan „Irma“ über St. Martin und zerstörte weite Teile der kleinen Karibikinsel.

Der Wiederaufbau dauert noch an, doch viele Hotels sind schon wieder offen. Was erwartet Urlauber, die jetzt auf die Insel kommen? Ein Besuch vor Ort.

Aus dem türkisblauen Meer ragen grüne Hügel. Glitzernde Wellen rollen an den weißen Strand. Palmen wehen im Passatwind. So sieht die Karibikinsel St. Martin aus dem Flugzeug aus. Ein ganz normales Bilderbuch-Paradies.

Rasant geht es tiefer. Im Sinkflug donnert das Flugzeug über den Maho Beach. Noch 15 Meter sind es bis zum Boden, noch 10. Nur eine schmale Straße trennt die Landebahn vom Badestrand. Unten winken Planespotter, Flugzeug-Enthusiasten. Sie knipsen Fotos und halten die Sonnenhüte fest – Vorsicht Schubstrahl. Fast nirgendwo sonst kommt man einem Jet so nah. Doch etwas hat sich verändert: Das Paradies wurde von einer Katastrophe heimgesucht.

Vor einem Jahr verwüstete Hurrikan «Irma» die Kleinen Antillen in der östlichen Karibik. Dazu gehört auch die Martinsinsel, die von zwei Regierungen verwaltet wird. Kolumbus entdeckte sie am Martinstag 1493 für Europa. Heute ist der südliche Teil Sint Maarten ein autonomes Land innerhalb des niederländischen Königreichs. Der größere Norden heißt Saint Martin und ist französisches Überseegebiet.

Mit Windstärken von knapp 300 Stundenkilometern fegte der Sturm am 6. September 2017 über das kleine Eiland. Nie wurde ein stärkerer Hurrikan auf dem offenen Atlantik gemessen. Elf Menschen starben in Saint Martin, vier in Sint Maarten. Beidseitig der grünen Grenze entstanden Sachschäden in Milliardenhöhe. Nach offiziellen Angaben wurden zwischen 90 (Sint Maarten) und 95 (Saint Martin) Prozent der Gebäude beschädigt, auch der Princess Juliana International Airport im südlichen Inselteil, der größte von zwei Inselflughäfen.

Wie einen Flugzeugflügel hatten Architekten das moderne Dach entworfen. Schick, schlank, aerodynamisch. Dass es mal in Teilen davonfliegen würde, war nicht geplant. Inzwischen ist das Dach repariert und verstärkt. Die Konstruktion soll künftig auch stärksten Böen standhalten. 21 von 26 Airlines haben den Betrieb mit halber Kapazität wieder aufgenommen. Ausgebucht sind die Flüge nicht.

Die wenigen Reisenden, die am Flughafen eintreffen, finden sich in einem überdimensionierten Partyzelt wieder. Es ist die provisorische Ankunftshalle. Klasse, kein Gedränge an der Gepäckausgabe. Aber wer will hier schon Urlaub machen, ein Jahr nach dem Hurrikan?

«Welcome!» Draußen freuen sich Taxifahrer über jeden Gast. Sie nicken eifrig. «Yes, yes!» Alle Straßen seien inzwischen aufgeräumt. In Sint Maartens kleiner Hauptstadt Philipsburg sind die Spuren der Verheerung nicht zu übersehen: zerbeulte Autos, umgestürzte Bäume, Häuserruinen mit bröckelnden Wänden, zerbrochene Fenster und blaue Plastikplanen statt Dächern. Weil die Bergungskosten ungeklärt sind, dümpeln Dutzende gesunkener Schiffe immer noch in der Simpson Bay Lagoon. Viele Strandbars und Geschäfte sind verbarrikadiert, Restaurants geschlossen. Das Paradies hat mehr als ein paar Kratzer.

Beide Inselnationen auf St. Martin schöpfen rund 90 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung aus dem Tourismus. Die Niederlande rechnen 2018 für Sint Maarten mit Verlusten von etwa 490 Millionen Dollar (421 Millionen Euro), so das Fremdenverkehrsamt.

Auch das «Divi Little Bay Beach Resort» blieb acht Monate dicht. Haushohe Sturmfluten hatten das Erdgeschoss der Ferienanlage überschwemmt. Meterhoch lag Sand in den Zimmern. «Ein Albtraum», erinnert sich Verkaufsleiterin Joan Samson. «206 Urlauber zu evakuieren, überall Scherben, Bäume im Schwimmbecken.»

Im August waren 34 Hotels in Sint Maarten mit Zimmern für 3900 Gäste wieder in Betrieb – rund ein Drittel. Ende März 2019 sollen es 70 Prozent sein. Die französische Seite wirkt noch deutlich weniger aufgeräumt. An der Strandpromenade in der Hauptstadt Marigot gegenüber dem Fischmarkt sehen einige Sturmruinen aus, als hätte sich seit einem Jahr nichts getan.

«We are building back better», sagt May-Ling Chun von Tourism Sint Maarten. Wenn man die Destination ohnehin neu aufbauen müsse, dann besser als vorher. Hoteliers und Geschäftsleute investierten Millionen und nutzten das Unglück zur Modernisierung. Das Ziel: Sint Maarten soll ein ganz neues Produkt werden.

Am schick restaurierten Pool im «Divi Resort» stehen schon nagelneue Sonnenliegen. Darauf sitzen Chuck und Thea Gedrich aus Chicago. Seit 30 Jahren reist das Ehepaar in die Karibik. Die Martinsinsel ist immer noch ihr Lieblingsziel. Für den vergangenen Frühling gebuchte Ferien haben sie nicht storniert, sondern verschoben. Das Warten habe sich gelohnt. Die 37 Strände der Insel sind so fantastisch wie vorher, finden die Gedrichs. Kristallklares Wasser, Korallen, alles noch da. Erstbesuchern werde sicher nichts fehlen.

Nur Stammgäste vermissen vertraute Plätze wie die Strandrestaurants von Oyster Bay. «Fünf, sechs Beachbars – komplett weggepustet», erzählt Chuck und schüttelt den Kopf. Er ist Ingenieur und kann die Mammutaufgabe Wiederaufbau beurteilen. «Ich bewundere die Kraft dieser Insel. Die Leute sind widerstandsfähig.» Baugerüste und fehlende Gärten, solche Kosmetikfehler stören sein Urlaubserlebnis nicht. «Die Einheimischen haben ganz andere Sorgen.»

«Irma» hat die rund 78 000 Bewohner der Martinsinsel schwer getroffen. Vor dem Sturm waren die meisten Menschen im Gastgewerbe tätig. Doch die Menschen tragen ihr Los mit erstaunlicher Fröhlichkeit. «Wirbelstürme gehören zur Karibik wie der Sonnenschein», sagt Samuel Alexander und zuckt die Achseln. Er habe Auto, Dach und Restaurant verloren. Lolos heißen die kleinen Freiluftgrills direkt am Strand. Aber die Familie sei okay. Freunde halfen mit dem Haus. Einen Job als Portier habe er auch gefunden. «Glück gehabt», sagt Alexander.

Joseph LeBlanc dreht noch Däumchen. Sein wackliger Tisch mit Batikkleidern und Häkelhemdchen steht hinter Philipsburgs historischem Gerichtsgebäude. Viele von diesen traditionellen Zedernholzhäusern, oft farbenfroh und mit typisch karibischem Schnitzereifachwerk, gibt es nicht mehr auf der holländischen Seite. Oben auf dem Dach des 1793 gebauten Courthouse prangt eine gelbe Ananas als Symbol für Wohlstand. Vor dem Hurrikan war hier ein lebhafter Freiluftmarkt. Jetzt wartet Großvater Joseph vergeblich auf Kundschaft, besonders auf die Passagiere der Kreuzfahrtschiffe, die früher scharenweise zur Shoppingtour ausschwärmten. Der Hafen liegt schräg gegenüber, in Laufnähe zu Philipsburgs zollfreier Einkaufszone gleich hinter der Strandpromenade mit den vielen Duty Free Läden, Elektronik-Shops und Designer-Boutiquen. Leider ankert heute wieder kein Schiff.

13 lange Wochen blieb das Terminal ganz geschlossen. Seit Anfang Dezember 2017 kommen die Schiffe langsam zurück. Die schwimmenden Kleinstädte sind eine Rettungsleine für die gebeutelte Insel. Ihre Infrastruktur bringen sie ja mit. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Kreuzfahrt-Besucher zwischen April und Juli 2018 um 8,8 Prozent. Schon für die Wintersaison 2018/19 erwartet die Hafenbehörde eine Rückkehr zu den Gästezahlen vor «Irma».

Unterdessen bangen viele Geschäftsleute ums Überleben. «Was auch an den Plünderungen liegt», sagt Tess Verheij. Mit einer Gruppe von Freiwilligen pinselt die Kunstlehrerin restaurierte Mini-Pavillons in knallbunten Karibikfarben an. Nach dem Sturm sei die Ausgangssperre zu spät verhängt worden, erzählt die junge Frau. Viele Kaufleute hätten schlicht kein Geld für neue Waren. Auch darum seien Schaufenster vernagelt.

Die gebürtige Holländerin setzt auf Selbsthilfe, denn die Arbeit der Lokalregierung betrachtet sie skeptisch: «Das Parlament hätte wirklich nicht als eines der ersten Gebäude angestrichen werden müssen, oder?» Dass die von den Niederlanden gewährten 550 Millionen Euro Aufbauhilfe auch wegen Angst vor Korruption nicht lokal, sondern von der Weltbank verwaltet werden, findet sie richtig. Mit dem Geld könnten hoffentlich auch alte Probleme gelöst werden, wie die nach «Irma» vollends überlastete und regelmäßig brennende Mülldeponie. «Building back better», bekräftigt auch Tess. «Aber für Besucher und Bewohner.» Der Hurrikan sei auch eine Chance.

Wo Schatten ist, da ist auch Licht. Nick Maley weiß das. Der britische Maskenbildner arbeitete bei der Entwicklung der Yoda-Figur aus den Star-Wars-Filmen mit. Heute betreibt der Endsechziger ein kleines Filmmuseum in Philipsburg. Ja, es gebe noch ein paar Narben im Paradies – aber die Sonne scheine trotzdem.

Info-Kasten: St. Martin

Klima und Reisezeit: Die Regenzeit dauert von Juni bis November, dann sind auch Hurrikans möglich. Trockenzeit ist von Januar bis April. Februar und Mai sind Hochsaison. Dann kommen Touristen zum Inselkarneval und Segelfans für die Heineken Regatta. Die Höchsttemperaturen liegen im Schnitt stets zwischen 27 und 29 Grad. Das Wasser ist mit 26 bis 29 Grad das ganze Jahr über angenehm warm.

Anreise und Formalitäten: Ab Ende Oktober fliegt Air France von Paris fünfmal und KLM von Amsterdam dreimal wöchentlich zum Princess Juliana International Airport nach Sint Maarten. Für die Einreise genügt ein für die Dauer der Reise gültiger Reisepass.

Gesundheit: Impfschutz gegen Hepatitis A/B wird empfohlen. Tag- und nachtaktive Mücken können Infektionskrankheiten wie Dengue-Fieber, Zika und Chikungunya übertragen. Wichtig: körperbedeckende Kleidung tragen und Insektenschutzmittel benutzen.

Übernachtung: Vor «Irma» bot die Insel Hotels und Ferienwohnungen in allen Varianten und Preisklassen. Die Auswahl ist noch beschränkt. Während des Wiederaufbaus gewähren einige Resorts Sondertarife.

Währung und Geld: Der Antillen-Gulden ist offizielles Zahlungsmittel von Sint Maarten. Wegen des festen Wechselkurses werden jedoch auch US-Dollar akzeptiert. Preise sind meist in beiden Währungen angegeben. Ein Antillen-Gulden ist 0,47 Euro wert. Auf der französischen Seite bezahlt man mit Euro.

Informationen: Sint Maarten Tourism Department, Krippa Commercial Building, 6 Juancho Yrausquin Boulevard, Philipsburg (E-Mail: info@e-stmaarten.com, www.vacationstmaarten.com). Office de Tourisme de Saint Martin, Route de Sandy Ground, Marigot, 97150 Saint-Martin (E-Mail: contact@iledesaintmartin.org, www.st-martin.org)

Heike Schmidt, dpa