Hobas, 15. August 2017 Die karge Schönheit des Grenzgebiets zwischen Namibia und Südafrika im „/Ai/Ais-Richtersveld Transfrontier Park“ erschließt sich nicht auf den ersten Blick – auf einer sechstägigen Radtour bei Vollmond aber ganz sicher. Eine Reise im Rhythmus der Wüste. Die Zahlen, die Pieter Van Wyk vor der Kulisse des Fish River Canyons herunterbetet, sind […]

Hobas, 15. August 2017

Die karge Schönheit des Grenzgebiets zwischen Namibia und Südafrika im „/Ai/Ais-Richtersveld Transfrontier Park“ erschließt sich nicht auf den ersten Blick – auf einer sechstägigen Radtour bei Vollmond aber ganz sicher. Eine Reise im Rhythmus der Wüste.

Die Zahlen, die Pieter Van Wyk vor der Kulisse des Fish River Canyons herunterbetet, sind unvorstellbar. Vor zwei Milliarden Jahren haben Vulkanausbrüche die Berge geschaffen, die hier im Südwesten Namibias noch immer am Horizont thronen. Der Biologe, 28, spricht von 2000 Millionen Jahren, so als wäre diese ungeheure Zeit damit greifbarer – was natürlich nicht stimmt.

Erosion ließ im Laufe der Zeit die bis zu 550 Meter tiefen Canyons entstehen. Der Fluss, der sich hier in die Erdkruste eingeschnitten hat, hat deren bewegte Geschichte wie ein Buch offengelegt. Vor 300 Millionen Jahren schob sich ein Gletscher über die Senke. Auch das ist kaum vorstellbar.

Schon morgens brennt die Sonne unerbittlich über der kargen Steinwüste, nur vereinzelt sträuben sich Büsche mit kleinsten, knochenharten Blättern gegen das Vertrocknen. Die Landschaft gehört zu einem Nationalpark mit dem etwas sperrigen Namen „/Ai/Ais-Richtersveld Transfrontier Park“.

Die Einzigartigkeit der Region erschließt sich auf einer kurzen Stippvisite per Auto oder Reisebus kaum. Deshalb gibt es eine entschleunigte Variante: Desert Knights, eine Fahrradtour von Namibias Süden über den Grenzfluss Oranje in den südafrikanischen Norden. Zweimal jährlich, wenn die Temperaturen im April und September einigermaßen erträglich sind und der Vollmond auch nach Sonnenuntergang für ausreichend Licht sorgt, durchqueren bis zu 100 moderne Abenteurer die fast unheimliche Stille der Wüste. Ohne Stoppuhr, jeder in seinem Tempo.

„Die Absicht war, die touristischen Höhepunkte des Transfrontier Parks in eine Tour zu packen“, erklärt deren Erfinder Roland Vorwerk, Marketing-Manager bei der Agentur Boundless Southern Africa. Doch es sind längst nicht nur die hervorstechenden Landmarken, der Blick in den Canyon oder das Bad in den heißen Thermalquellen von „/Ai/Ais“, die diese Tour ausmachen. Auf den 300 Kilometern, 20 davon per Kayak auf dem Oranje, ist vielmehr der Weg das Ziel.

Nach einem Warmfahren am ersten Tag führt die Etappe am nächsten Abend von Hobas, einem kleinen Campingplatz samt Ferienhäusern nahe des Canyons, nach „/Ai/Ais“. „Heiß wie Feuer“ bedeutet der Name in der Sprache der Nama, der sich auf das 65 Grad warme, schwefelhaltige Wasser der Quelle bezieht. Seit den frühen 70er Jahren ist hier ein kleines Ferienparadies mit einem wohltemperierten Pool entstanden.

Kaum kühler fühlt es sich in den späten Nachmittagsstunden jedoch auf der Schotterstraße an, die sich von Hobas aus gen Süden durch die welligen Weiten zieht. Ein erbarmungsloser, staubtrockener Gegenwind lässt selbst dann den Schweiß laufen, wenn es einmal leicht bergab geht. Im Westen fallen Sonnenstrahlen durch die Wolken über dem Canyon. So lila-rot sind die Farben, dass das Panorama fast schon kitschig wirkt. Nur der Wind rauscht hier in den fast blattlosen Bleistiftsträuchern, einer robusten Euphorbien-Art, die für Menschen hochgiftig ist, Nashörnern und Kudu-Antilopen aber als Nahrung dient.

Sonst ist Ruhe, 68 lange Kilometer. Unterbrochen wird sie nur von drei Verpflegungsstationen, an denen die Radler Wasser und Energie tanken, letztere in Form von Datteln, Keksen und Biltong, dem in Namibia und Südafrika allgegenwärtigen Trockenfleisch.

Welche Mythen das Leben in der Namib produzieren kann, zeigt sich am nächsten Tag. Bei der Durchquerung der verlassenen Farm Kanabeam treibt tiefer Sand in der einzigen Jeep-Spur die Radfahrer zur Verzweiflung. Den Eignern, so erzählt es die Lagerfeuerlegende, sollen ähnliche Gefühle bekannt gewesen sein.

Ein US-amerikanisches Paar hatte die Farm einst in dem Glauben gekauft, dort Zink fördern zu können. Doch die ersten Funde waren fingiert. Windige Geschäftsleute hatten das Erz zuvor an den Stellen der Probegrabungen im ansonsten recht wertlosen Boden platziert. Von den enttäuschten Hoffnungen auf einen Zink-Boom zeugen heute nur noch die rostigen Minengerätschaften, die aus der sandigen Ebene ragen – und die weitgehend intakte Wüstenvegetation. So schiebt sich der runde Mond in fast gespenstischer Stille über die steilen Felswände der Gamkab-Schlucht, die nur zweimal jährlich zu den Fahrradtouren von Menschen betreten wird.

Bedroht sind die Ökosysteme des Parks dennoch. Am Grund des Oranje, dem einzigen ganzjährig Wasser führenden Fluss der Region, wimmelt es inzwischen vor exotischen Schnecken, deren Vorfahren vermutlich von Aquariumbesitzern stromaufwärts «entsorgt» worden sind.

Der dünne grüne Uferstreifen leidet zudem unter der Überweidung durch die Ziegenherden der örtlichen Bevölkerung. Diese Form der Landwirtschaft ist zwar Jahrhunderte alt, aber auch die hiesigen Kleinbauern haben sich der vorherrschenden Profitlogik anschließen müssen. So kollidieren am Oranje menschliche Vorstellungen von Wachstumsraten mit den realen der Natur.

Die für ganz Afrika so charakteristischen Hirtenbäume, die sich hier mit einer hellen Borke vor der starken Sonneneinstrahlung schützen, können im Park locker 1500 Jahre alt werden. Hier trifft man auch Pieter Van Wyk, der sonst in der Gärtnerei des Parks arbeitet, auf einer seiner morgendlichen Botanikwanderungen. Der Baum, vor dem er steht, ist gerade groß genug, um einem Hirten Schatten zu spenden. Und doch steht er dort schon seit 300 Jahren. Von den einst 2000 Kilometern Auenwald ist nur noch ein Zehntel erhalten.

Auch weiter weg vom Ufer sieht es nicht besser aus. Infolge der seit vier Jahren anhaltenden Dürre sind 40 Prozent der Pflanzen im Park abgestorben. Insbesondere bei den Köcherbäumen, zu denen drei baumartige Sukkulenten-Arten zählen, ist ein wahres Massensterben zu beobachten. Woran genau das liegt, kann auch Van Wyk nicht erklären, denn längere Trockenperioden sind in der Gegend eigentlich normal. Das Problem zehrt merklich an ihm. „Es muss mit dem Klimawandel zu tun haben“, sagt er. „Diese Pflanzen sind so angepasst an Dürre und Hitze, wir verstehen nicht, was passiert.“

Van Wyk ist ein Mann, der vor seinen Gästen fast entschuldigend erklärt, dass er zwar jede Pflanze der Region bei ihrem lateinischen Namen nennen könne, zum Lernen aber auch 17 Jahre gebraucht habe. Als er anfing, war er elf. Seine Familie lebt seit 1847 in der Landschaft Richtersveld. Inzwischen schreibt Van Wyk neben einem Pflanzenführer zeitgleich seine Master- und Doktorarbeit.

Trocken und zurückgenommen wirkt die Heimat des Biologen. Nach einer langen Vollmondfahrt über enge, steinige Pfade wartet schließlich das Ziel der sechstägigen Radtour am Grenzübergang Sendelingsdrift mit einem Glühwein . Wer hier ankommt und dann noch auf die Suche nach den 22 Gecko-Arten des Parks geht, der hat nicht einfach nur Urlaub gemacht. „Es ist die Möglichkeit, in einer der großartigsten Landschaften der Welt zu meditieren“, sagt Raymond Siebrits, ein Teilnehmer aus Kapstadt.

Für seine Frau Hannah Baleta liegt die Besonderheit des Trips vor allem in dem engen Zeitfenster, das die Wüste bietet. Denn so meditativ die Ruhe auch sein mag, die kräftezehrenden Pisten sind mit dem Fahrrad nur an den relativ lauen Vollmondabenden zwischen Sommer und Winter sicher zu durchqueren.

Für den Rest des Jahres verschließt sich die oft so unwirtliche Landschaft wieder, dann wird die Sonne des Tages unerträglich oder der Wind der Nacht zu eisig. Einen Vorgeschmack gibt es dazu bereits am letzten Tag, als der Helskloof-Pass die Radfahrer bei dichtem Nebel und neun Grad Celsius empfängt. Der Mensch ist da nur kurz geduldeter Gast. Er darf sich die Zeit nehmen, um reisend zu lernen.

Info-Kasten: Die Fahrradtour Desert Knights

Reisezeit: Die sechstägigen Radtouren finden immer rund um die Vollmondphasen im April und September statt. Tagsüber ist es dann sehr warm, nachts kann es kühler werden.

Anreise: Der vom Startpunkt in Hobas nächstgelegene erreichbare Flughafen ist Upington im Norden Südafrikas (400 Kilometer entfernt). Die Flüge in die Kleinstadt sind jedoch meist recht teuer, hinzu kommt, dass die Mietwagenanbieter für Fahrten nach Namibia in der Regel eine Grenzübertrittsgebühr verlangen. Günstiger ist daher die Anreise über Namibias Hauptstadt Windhuk (650 Kilometer entfernt). Hobas ist nur per Mietwagen zu erreichen, ein Geländefahrzeug ist für die guten Schotterstraßen aber nicht notwendig. Bei der Vermittlung von Leihfahrrädern und Fragen zur Anreise hilft der Veranstalter.

Einreise: Für die Einreise sowohl nach Südafrika als auch Namibia reicht für EU-Bürger ein Reisepass, der bei Reisebeginn noch sechs Monate lang gültig sein sollte.

Kosten: 15 000 südafrikanische Rand (etwa 1100 Euro) pro Person für die gesamte Tour mit Vollverpflegung und Übernachtung in Zelten. In Namibia gelten sowohl der südafrikanische Rand als auch der daran gekoppelte Namibia-Dollar, in Südafrika jedoch nur der Rand. Die jeweilige Landeswährung kann in allen Städten am Geldautomaten abgehoben werden, nicht jedoch in den Camps des Parks.

Gesundheit: Besondere Impfungen oder Prophylaxen sind für den Süden Namibias nicht nötig, der „/Ai/Ais-Richtersveld Transfrontier Park“ ist kein Malaria-Gebiet.

Informationen: South African Tourism, Friedensstraße 6-10, 60311 Frankfurt (Tel.: 069 92912950, E-Mail: info.de@southafrica.net, www.southafricantourism.de).

Internet: www.desertknights-mtb.com

Christian Selz, dpa