Berlin, 17. August 2017 Nach Sylt oder Usedom fliegen? Viele Reisende mögen da mit dem Kopf schütteln. Doch das Angebot existiert und wird genutzt. Selbst wenn Regionalflüge hierzulande generell stark an Popularität eingebüßt haben. Von Berlin nach Boston? Da bleibt dem Urlauber nichts anderes übrig, als ins Flugzeug zu steigen. Von Frankfurt/Main nach Mallorca? Auch […]

Berlin, 17. August 2017

Nach Sylt oder Usedom fliegen? Viele Reisende mögen da mit dem Kopf schütteln. Doch das Angebot existiert und wird genutzt. Selbst wenn Regionalflüge hierzulande generell stark an Popularität eingebüßt haben.

Von Berlin nach Boston? Da bleibt dem Urlauber nichts anderes übrig, als ins Flugzeug zu steigen. Von Frankfurt/Main nach Mallorca? Auch da fliegt er am besten. Und von Hamburg nach Sylt? Drei Stunden mit dem Zug, sagt der Routenplaner, fünf Stunden mit dem Auto, wegen der Fähre. Aber es ginge auch in 50 Flugminuten! Jeden Tag landen zig Direktflüge aus deutschen Städten auf der Insel. Dabei sind Regionalflüge, also Verbindungen zwischen Destinationen abseits der großen Flughäfen, eigentlich aus der Mode.

Im vergangenen Herbst sorgte ein „Überseeflug“ für Schlagzeilen: Ein Jet der österreichischen Fluggesellschaft People’s Viennaline war am 2. November morgens gegen halb sieben in Altenrhein in der Schweiz gestartet und acht Minuten später auf der anderen, deutschen Seite des Bodensees in Friedrichshafen gelandet – planmäßig. Die Rede war vom „kürzesten Linienflug der Welt“ – der nach kurzem Aufenthalt weiter nach Köln ging. Kurios: Berichtet wurde, dass die Piloten die Landeerlaubnis beantragen mussten, noch bevor sie gestartet waren. Täglich zwei solche Flüge führte die Airline im Winterflugplan durch. Preis: 40 Euro für die 20 Kilometer Luftlinie. Doch das Passagierziel wurde nicht erreicht, der Verkehr auf der ungewöhnlichen Strecke im April 2017 wieder aufgegeben. Luftverkehrsexperten sehen seit Längerem: Regional funktioniert der Flieger nur noch bedingt.

„Im Regionalluftverkehr können wegen der beschränkten Fluggastpotenziale nur kleinere Flugzeuge eingesetzt werden. Diese aber produzieren hohe Kosten pro Sitzplatz“, erklärt der Luftfahrtexperte Prof. Gerd Stöwer. Er arbeitete früher für die Lufthansa, war Geschäftsführer von Flughäfen, ist heute als selbstständiger Unternehmensberater tätig und unterrichtet Studenten an der TU Dresden in Luftverkehrsrecht und -politik.

Stöwer erinnert daran, dass noch in den 1990er Jahren Gesellschaften wie der Nürnberger Flugdienst oder Augsburg Airways mit Propellerflugzeugen Strecken abseits der großen Ballungsgebiete bedienten. Damals seien Reisende bereit gewesen, für Hin- und Rückflug 500 Euro zu zahlen. „Damit war Regionalluftverkehr gewinnbringend zu organisieren.“ Inzwischen habe sich vor allem durch die Billigflieger das Preisdenken geändert: „Ein kurzer Flug darf möglichst nicht über 100 Euro kosten. Mit solchen Tarifen können Strecken mit kleinem Fluggerät nicht kostendeckend betrieben werden.“

Eine Boeing 737-800 wie sie beispielsweise Ryanair einsetzt, kann bis zu 190 Passagiere befördern. Doch auch kleinere Regionalflugzeuge mit 20 bis 70 Sitzen „benötigen zwei Piloten, mindestens einen Flugbegleiter, zahlen vergleichbar hohe Entgelte für Navigation, Anflug, Landung und Abfertigung“, erläutert Stöwer.

Fliegen ist schon lange kein Privileg mehr einer gut betuchten Minderheit. Heute fliegen alle – und vor allem in die Ferien. Seit den 1990er Jahren hat die Nutzung des Flugzeugs als Verkehrsmittel bei Urlaubsreisen gegenüber Auto, Bus und Bahn kräftig zugenommen. Laut einer Studie der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen stiegen im Jahr 2015 mehr als die Hälfte aller Auslandsreisenden (56 Prozent) für ihren Urlaub ins Flugzeug.

Für den Inlandsurlaub nutzen hingegen nur ein Prozent der Reisenden den Flieger. Ausnahmen bestätigen die Regel, vor allem in touristisch geprägten Regionen. Beispielsweise steht Heringsdorf auf Usedom im Linienflugplan von Eurowings von Düsseldorf und Stuttgart. Ab 100 Euro. Die Airline hat aktuell auch Sylt (von/nach Köln-Bonn) im Programm.

Über Westerland herrscht reger Flugverkehr. Der Flughafen Sylt führt als Direktflüge Basel, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg, Köln/Bonn, Mannheim, München, Nürnberg, Stuttgart und Zürich auf. Große Airlines wie Lufthansa fliegen dorthin, aber auch Spezialisten. Sylt Air bedient in den Sommermonaten mit Kleinflugzeugen für drei bis neun Passagiere zweimal täglich die Strecke zwischen Sylt und Hamburg. Da ist jeder Sitzplatz ein Fensterplatz – zum Basispreis von 250 Euro für den einfachen Flug. Nutzer sind „in erster Linie Geschäftsleute, die im Urlaub sind und kurzfristig zu einem Termin müssen und Zweithausbesitzer“, berichtet Heike Almeling vom Sylt Air.

Insel-Urlauber aus Mannheim und Nürnberg werden von Rhein-Neckar-Air befördert. Die Gesellschaft beendete aber in diesem Jahr die Saison für die Nürnberg-Sylt-Strecke „aufgrund der geringen Auslastung“ schon am 22. Juli. Feste Flugpläne gibt es auch zu anderen Nordseeinseln. So pendelt der „Inselflieger“ der Frisia Luftverkehr Norddeich täglich mehrmals zwischen Norddeich und Juist sowie zwischen Harle und Wangerooge.

In puncto Sicherheit gibt es zwischen großen und kleinen Destinationen und Flugzeugen keinen Unterschied. „Im deutschen Luftraum geschieht nichts ohne eine Regel. Die werden befolgt, egal an welchem Flughafen“, sagt Kristina Kelek von der Deutschen Flugsicherung. Obwohl er einer der am dichtesten beflogenen sei, „ist der deutsche Luftraum einer der sichersten der Welt“.

Was nicht vergessen werden sollte: Aus Umweltsicht sind Kurzstreckenflüge problematisch – und nicht auf Strecken empfehlenswert, wo es gute Alternativen gibt. So sei beispielsweise der Flugverkehr auf der Strecke zwischen Berlin und Hamburg „durch eine attraktive Bahnverbindung quasi zum Erliegen gekommen“, erklärt Dietmar Oeliger vom Naturschutzbund Deutschland. Er weist darauf hin, dass bei kurzen Flügen die energieintensiven und Lärm verursachenden Teile Start und Landung einen großen Anteil einnehmen. Bodenseeurlauber dürften froh sein, dass es diesen Sommer keinen „Überseeflug“ gibt.

Oliver Kauer-Berk, dpa