Paramaribo, 25. September 2018 Im kleinsten Land Südamerikas steht relativ zur Fläche des Staates so viel Primärregenwald wie nirgends sonst auf der Welt. Doch das bedeutet nicht, dass Reisende besonders einfach wilde Tiere beobachten können. Eine Spurensuche im Dschungel. Nur wenige Zentimeter beträgt die Sichtweite auf dem Suriname-Fluss. Das schlammige Wasser platscht im Takt gegen […]

Paramaribo, 25. September 2018

Im kleinsten Land Südamerikas steht relativ zur Fläche des Staates so viel Primärregenwald wie nirgends sonst auf der Welt. Doch das bedeutet nicht, dass Reisende besonders einfach wilde Tiere beobachten können. Eine Spurensuche im Dschungel.

Nur wenige Zentimeter beträgt die Sichtweite auf dem Suriname-Fluss. Das schlammige Wasser platscht im Takt gegen den Rumpf des hölzernen Fischerbootes. Am Himmel das gleiche Trauerspiel. Für die Menschen, die nur in Länder reisen, die «instagrammable» sind, scheint Suriname auf den ersten Blick die falsche Wahl. Im Regenwald ist es einfach immer bewölkt. Schlechte Bedingungen für außergewöhnliche Fotos.

Doch dann springen plötzlich verspielte Guyana-Delfine mit rosafarbenen Bäuchen aus dem Brackwasser. Es sieht tatsächlich so aus, als lächelten die Tiere – sehr sympathisch. Links neben dem Boot hört man einen Delfin schnaufen, das Wasser bläst er in einer Fontäne drei Meter in die Luft. Rechts zeigt sich eine kleine Rückenflosse. Kaum hat sie die Wasseroberfläche durchstoßen, ist sie auch schon wieder verschwunden. Dann tauchen vor dem Boot kurz mehrere Tiere auf. Ein Schnappschuss ist schwierig.

Das merken auch die jungen Freiwilligen an Bord. Seit 2005 ist der Green Heritage Fund Suriname (GHFS) jeden Sonntagmorgen mit einigen Helfern auf dem Fluss unterwegs. Wenn die Sonne hinter den Bäumen aufgeht, erfassen die Aktivisten vor der Hauptstadt Paramaribo den gefährdeten Bestand an Delfinen. Sie werden chauffiert von einheimischen Fischern und gelegentlich auch begleitet von neugierigen Touristen.

Monique Pool ist jeden Sonntag dabei. Die nachdenkliche Frau mit schwarz gelocktem Haar ist die Gründerin des GHFS. Der Schutz der Delfine im Bereich der Flussmündung hat sich zu einem Vorzeigeprojekt für nachhaltigen Tourismus entwickelt. Die Organisation hat die Fischer zu begeisterten Delfinbeobachtern gemacht.

Moniques Team mietet jede Woche ein Fischerboot samt Kapitän, obwohl es wesentlich günstiger wäre, ein eigenes Boot anzuschaffen. Doch so verdienen die Fischer mit und lernen, dass sich mit dem Beobachten der Tiere mindestens genauso Geld verdienen lässt wie mit der Fischerei. Inzwischen werden mehrmals pro Woche Touren angeboten – für die wenigen Urlauber im Land.

Suriname ist einer der letzten weißen Flecken auf der touristischen Landkarte. Man weiß kaum etwas über das Land. Die Staatsangehörigkeit sagt hier wenig über die Menschen aus. Das kleinste unabhängige Land Südamerikas ist multikulturell wie kein anderes, wegen der Kolonialgeschichte. Heute leben Menschen mit Vorfahren in Westafrika, Indien, Java, China, Europa und dem Libanon in Suriname. Die Küche des Landes ist entsprechend vielfältig.

Über einspurige Straßen bahnt sich Rudi einen Weg durch Paramaribo. Der Nachfahre von Westafrikanern und Hindustanen arbeitet in der Hauptstadt als Taxifahrer. Die Stadt verlässt er nie. Doch während der Arbeit lernt er viele Reisende kennen. Außerhalb der Städte sei das Fortkommen schwierig, sagt er – oder unmöglich.

«Lange Strecken kann man in Suriname nicht mit dem Auto zurücklegen», erklärt Rudi. Die dichte Bewaldung des Landes mit etwa 90 Prozent Primärregenwald verhindert das. «Die Küstenlinie ist gut erschlossen, in südlicher Richtung ist am Brokopondo-Stausee Schluss.» Dort muss man mit dem Boot weiter. Es gibt quasi keine Infrastruktur für Touristen. Reisende haben keine andere Wahl, als Ausflüge bei örtlichen Veranstaltern zu buchen. Auf eigene Faust geht nicht viel. Auch umweltbewusste Urlauber, die das Fliegen vermeiden wollen, haben keine Chance. In den tiefen Regenwald geht es nur über den Luftweg.

Ronald Nowee und seine Frau Els steigen am Inlandsflughafen Zorg en Hoop in einen kleinen Buschflieger. Wenige Minuten nach dem Start verschwindet Paramaribo aus dem Blickfeld. Schnurgerade Straßen ziehen sich am Erdboden durch das grüne Land.

Während der Propeller die Cessna immer höher treibt, erstrecken sich am Boden abgeholzte Flächen: Für illegale Goldschürfungen auf Höhe des Brokopondo-Stausees wurde der Regenwald gerodet. Zwischen den lehmartigen Böden schimmern silbrige Wasserflächen in allen erdenklichen Grün- und Blautönen. Der Pilot des Flugzeugs zeigt nach unten und schüttelt nachdenklich den Kopf. Es ist das Quecksilber, das ihm Kopfschmerzen bereitet. Es wird eingesetzt, um das Gold aus dem Gestein zu bekommen. Irgendwann gelangt es in die Flüsse und verseucht die Gewässer des Landes. Im Süden sollte man besser nicht fischen. Selbst im Norden, wo die Flüsse ins Meer münden, ist der Quecksilber-Anteil erheblich.

Das Ehepaar aus den Niederlanden ist schon zum zweiten Mal in Suriname unterwegs. Viele Niederländer bereisen die ehemalige Kolonie, erzählt Reiseführer Espanyo nach der Landung im Dorf Palumeu. Espanyo ist ein Enkel des Dorfältesten. Im Amazonas-Gebiet Surinames aufgewachsen, arbeitet er seit dem 16. Lebensjahr als Tourguide. Er stellt sich der Reisegruppe und das Programm der nächsten fünf Tage vor. Auf Niederländisch, der Amtssprache Surinames.

Dutzende Indigene aus den drei Stämmen Trio, Wayana und Akurio treten nun aus dem Schatten der Bäume und entladen das Flugzeug. Nur fünf Holzhütten mit jeweils zwei abgetrennten Wohnbereichen für insgesamt 20 Personen wurden für Touristen geschaffen. Insgesamt 300 Einheimische wohnen im Dorf. Ein gesundes Gleichgewicht.

Ohne Verschnaufpause geht es nach der Ankunft ins motorisierte Kanu. Der Dieselmotor heult auf, während die letzten Fahrgäste noch einsteigen. Vogelgezwitscher ist nicht mehr zu hören. Nächster Halt: die Papageien-Insel. Gezückte Kameras, Vorfreude. Vor Ort dann große Enttäuschung. Keine Papageien, nicht ein einziger Vogel lässt sich auf der Insel mit dem vielversprechenden Namen ablichten.

Die Guides bereiten auf Holzbänken und -tischen ein Picknick vor. Alles ist perfekt vorbereitet – mitten im Regenwald: vom grünen Salat bis zum gegrillten Anjumara, dem größten Raubfisch Südamerikas. Bis zu 40 Kilo wiegen die Fische im Tapanahony River, der zu einer Erfrischung einlädt. «Das Schwimmen im Fluss ist ungefährlich», sagt Espanyo. Er holt eine Schnur hervor, befestigt Wasserpflanzen am Haken, wirft die improvisierte Angel ins Wasser und holt sie wieder ein. Das geht eine ganze Weile so, bis er zur Überraschung seiner Beobachter einen Piranha fängt. Eilig laufen alle Badegäste aus dem Wasser. Wer möchte schon mit Piranhas schwimmen?

Stolz erklärt Espanyo der Reisegruppe, dass dies ein vegetarischer Piranha sei. Er zeigt auf die spitzen Zähne des Tieres. War das ein Witz? Nein! Diese Art gehört zu den sogenannten Sägesalmlern. Der Fisch ernährt sich nur von Pflanzen und lebt im Amazonas zwischen Suriname und Französisch-Guayana.

Im Dorf ernährt sich kaum jemand vegetarisch. Am Abend landet der Piranha in einem Kochtopf. Das geht hier vielen Tieren so – vom Leguan bis zum Tucan. Die Bewohner Palumeus sind ein Jägervolk, die Jagd gehört zu ihrer täglichen Arbeit. Obwohl das Geld aus dem Tourismus sehr dabei geholfen hat, das Dorf zu entwickeln, Schulen entstanden sind und Lehrer damit bezahlt werden, leben die Menschen hier noch weitgehend autark. Seit Espanyo laufen kann, ist er mit den Männern des Dorfes zur Jagd gegangen, hat Spuren lesen gelernt, Bogenschießen und die Jagd mit dem Gewehr. «Ich habe schon fünf Jaguar erlegt», erzählt er beim Abendessen.

Viele Reisende kommen nach Palumeu, um in der Abgeschiedenheit des Regenwalds wilde Tiere zu beobachten. Das Töten können sie nur schwer nachvollziehen. Espanyo erklärt, er habe in Notsituationen gehandelt. «Lieber stirbt der Jaguar als ich.» In Palumeu sieht man keine Tiere, sie haben sich aus Angst vor dem Dorf tief in den Wald zurückgezogen. Anders in Kabalebo.

«Wir haben dort Hunderte wilde Tiere gesehen», erzählt Ronald Nowee. Das Kabalebo Nature Resort wurde mitten im Regenwald nur für Touristen geschaffen. Die Tiere werden dort nicht gejagt und trauen sich viel näher an die Hütten heran.

«Wenn man Tiere beobachten möchte, dann sollte man in Palumeu die Wanderung zum 718 Meter hohen Berg Kasikasima unternehmen», sagt Monique Pool.

Zurück zur Küste. Viele Reisende wenden sich an Pools Organisation, wenn sie vor der Abreise unbedingt noch einen Blick auf Ameisenbär oder Faultier werfen wollen. Obwohl ihr Terminkalender aus allen Nähten platzt, nimmt sie sich dafür gerne Zeit. Faultiere sind durch die Abholzung des Regenwalds bedroht. Während andere Tiere bei Gefahr fliehen, ist ein Faultier einfach zu langsam, um zwischen Bulldozern und Kettensägen das Weite zu suchen. Wenn ein Baum umstürzt, fällt das Faultier mit zu Boden. Es bricht sich die Knochen oder stirbt.

Das Team von der Faultier-Rettung ist jeden Tag im Einsatz. Es liest Tiere auf, bringt sie ins Rettungszentrum und päppelt sie für die Rückkehr in den Regenwald wieder auf. Bis Juli 2017 befand sich das Herzstück des Zentrums in Moniques privater Wohnung. Dutzende Faultiere okkupierten oft wochenlang die Räume der 54-Jährigen, ehe mit Spendengeldern ein modernes Rettungs- und Besucherzentrum aus alten Schiffscontainern in Misgunst gebaut werden konnte, eine Stunde westlich von Paramaribo. Dort werden die Tiere auf zwei Etagen versorgt. Das Grundstück hat Moniques Organisation aus dem Familienbesitz ihrer Tante erstanden.

Fragt man die Umweltschützerin nach ihrem größten Traum, gesteht sie, dass sie gerne Millionärin wäre. Damit würde sie den letzten verbliebenen Regenwald in Paramaribo kaufen und unter Naturschutz stellen. Sie freut sich aber auch schon über eine Spende über die Welttierschutzgesellschaft.

Info-Kasten: Suriname

Anreise: Surinam Airways, KLM und Tuifly fliegen von Amsterdam direkt zum Johan Adolf Pengel International Airport (PBM) in Paramaribo. Günstiger sind Flüge ab Deutschland mit mehreren Zwischenstopps, beispielsweise in Miami und Trinidad und Tobago.

Einreise und Formalitäten:Deutsche Staatsangehörige benötigen für die Einreise kein Visum, müssen am Flughafen in Paramaribo aber für 30 Euro eine Touristenkarte kaufen, die für eine einmalige Einreise gültig ist. Wer auf dem Landweg kommt, muss die Karte vorab erwerben. Eine Gelbfieberimpfung ist nötig.

Gesundheit: Neben den Standardimpfungen wird eine Impfung gegen Hepatitis A empfohlen, bei Langzeitaufenthalt auch gegen Hepatitis B, Tollwut und Typhus. Ganzjährig hohes Übertragungsrisiko von Malaria. Mückenstiche durch lange Kleidung, Netze und Insektenspray vermeiden.

Veranstalter:Reisen nach Palumeu oder Kasikasima bieten zum Beispiel METS (www.mets.sr) und Orange Travel (www.orangesuriname.com) an. Wer einen deutschen Ansprechpartner bevorzugt, kann über Napur Tours (www.napurtours.de) oder Reisen mit Sinnen (www.reisenmitsinnen.de) buchen. Reisen ins Kabalebo Nature Resort können auf www.kabalebo.com gebucht werden.

Steven Hille, dpa