Vernachlässigt die EU wegen des Brexits wichtige Entscheidungen zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit? Beim EU-Gipfel in Brüssel blieb für die China-Debatte deutlich weniger Zeit als geplant. Brüssel (dpa) – Beim Kaffeetrinken das leidige Thema Brexit abhaken und sich dann beim Abendessen in Ruhe und ohne Zeitlimit dem wirtschaftlich so wichtigen Umgang mit China widmen: Das war eigentlich […]

Vernachlässigt die EU wegen des Brexits wichtige Entscheidungen zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit? Beim EU-Gipfel in Brüssel blieb für die China-Debatte deutlich weniger Zeit als geplant.

Brüssel (dpa) – Beim Kaffeetrinken das leidige Thema Brexit abhaken und sich dann beim Abendessen in Ruhe und ohne Zeitlimit dem wirtschaftlich so wichtigen Umgang mit China widmen: Das war eigentlich der Plan für den ersten Tag des EU-Gipfels in Brüssel. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs rangen am Donnerstag bis in den späten Abend hinein, wie sie mit der verfahrenen Brexit-Situation umgehen sollen. Das Thema China wurde schließlich auf den Freitag geschoben. Statt einen ganzen Abend gab es deutlich weniger Zeit dafür.

Die Diskussion sei «sehr sinnvoll und sehr wichtig» gewesen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel dennoch im Anschluss an die Debatte. Richtungsweisende Entscheidungen zum Umgang mit China konnte sie aber nicht verkünden.

Setzt die EU die richtigen Prioritäten? Klar, Großbritannien mit seinen rund 66 Millionen Einwohnern soll auch nach dem EU-Austritt ein enger Partner bleiben, doch auf der anderer Seite steht die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ein Land, das mit enormen Staatshilfen die eigenen Unternehmen zu Weltmarktführern machen will, das aber auch ein wichtiger Absatzmarkt für EU-Unternehmen ist und als Partner beim Klimaschutz oder der Reform der Welthandelsorganisation WTO gebraucht wird. Mehr als 1,3 Milliarden Menschen leben dort – gut 20 Mal mehr als in Großbritannien.

Für die EU geht es nun um die Frage, wie sie sich da behaupten kann. Haben europäische Unternehmen langfristig ohne staatlichen Schutz und Unterstützung noch eine Überlebenschance? Wie soll damit umgegangen werden, dass chinesische Investoren verstärkt versuchen, strategisch wichtige europäische Unternehmen zu übernehmen? Muss Europa sich abschotten, wie es die USA unter Präsident Donald Trump vormachen?

Wohin die Reise genau gehen wird, ist derzeit nicht absehbar. Einigkeit herrscht in Europa derzeit nur darüber, China endlich ernst zu nehmen und die EU im globalen Wettbewerb stark aufzustellen. In der Herangehensweise gibt es jedoch erhebliche Differenzen.

Auf der einen Seite stehen dabei Staaten wie die Niederlande, die strikt dagegen sind, Abschottung mit Abschottung zu beantworten. Auf der anderen Seite gibt es solche wie Frankreich, die bereit sind, Prinzipien im Bereich Freihandel über Bord zu werfen, um die eigene Wirtschaft besser zu schützen.

Deutschland stand lange klar auf der Seite der liberalen Freihandelsverfechter, hat zuletzt aber einen Kurswechsel eingeleitet. Als Grund gilt, dass China seine Märkte in den vergangenen Jahren nicht wie versprochen geöffnet hat und weiter eigene Unternehmen enorm subventioniert.

Man wolle «gute und intensive Handelsbeziehungen mit China», auf der anderen Seite sei es ein Problem, dass europäische Unternehmen nicht den gleichen Zugang zum chinesischen Markt hätten wie chinesische Unternehmen zum europäischen, sagte Merkel.

Ihrer Meinung nach soll der Staat künftig auch in Europa eine viel stärkere Rolle einnehmen dürfen. Deutschland und Frankreich wollen zudem das EU-Wettbewerbsrecht reformieren, um mehr «europäische Champions» nach dem Vorbild des Flugzeugbauers Airbus gründen zu können. Anlass des Vorstoßes ist der Frust über die gescheiterte Fusion der Zugsparten von Siemens und dem französischen Konkurrenten und TGV-Bauer Alstom wegen Bedenken der Wettbewerbshüter.

Kleinere EU-Staaten wie Finnland und Dänemark stehen den Ideen aber skeptisch gegenüber. Sie befürchten, dass Deutschland und Frankreich künftig ihre Unternehmen mit milliardenschweren Subventionen fördern und den europäischen Wettbewerb dadurch verzerren.

Ebenfalls umstritten ist der Vorschlag der EU-Kommission, ein Verfahren einzuführen, um Dumping-Angebote aus China mit Strafen belegen zu können. Kritiker auch in Deutschland befürchten, die EU könnte mit dem sogenannten Instrument zum internationalen Beschaffungswesen (IPI) ein Abschottungssignal aussenden, das dem Grundgedanken offener Märkte und des Wettbewerbs zuwider liefe.

Schnellere Fortschritte dürfte es lediglich bei der Stärkung der sogenannten Kapitalmarktunion geben. Dabei geht es darum, Unternehmen mehr Möglichkeiten zu geben, sich auch grenzübergreifend Geld zu beschaffen.

Ist das genug? Äußerungen aus der Wirtschaft wecken Zweifel. Zum Gipfel veröffentlichte der europäische Unternehmensverband BusinessEurope Zahlen, nach denen in der EU seit 2010 lediglich 29 neue Unternehmen mit einem Marktktwert von mehr als einer Milliarde Dollar entstanden. In China waren es 81 und in den USA sogar 139.

Wie tief die Gräben in der EU sind, zeigt sich derzeit auch an der Europareise des chinesischen Präsidenten Xi Jinping. In Italien, wo Xi seine Europatour begann, wurde er am Freitag mit großem Pomp empfangen. Als erstes Land der sieben großen Industrienationen G7 will sich Italien diesen Samstag dem chinesischen Mega-Infrastrukturprojekt «Neue Seidenstraße» anschließen. Italien verspricht sich davon unter anderem mehr Geld für Häfen und Straßen und mehr Touristen.

Merkels Äußerungen dazu fielen am Freitag knapp aus. Nach den jüngsten Erklärungen des italienischen Regierungschefs gebe es an Italiens Kurs «jetzt erst einmal nichts zu kritisieren», kommentierte sie. Aber man habe beim Gipfel natürlich schon darüber gesprochen, «dass es noch besser ist, wenn man einheitlich agiert».

Sie schloss sich damit indirekt Äußerungen der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini an. Diese hatte zum Gipfel aufgerufen, im Wettbewerb mit China alle Kräfte zu bündeln. «Kein EU-Staat hat die Größe, den Einfluss oder die Macht, etwas mit China auf Augenhöhe verhandeln zu können», sagte sie.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron scheint das auch verstanden zu haben. Für den bevorstehenden Besuch von Xi in Paris hat er sich Unterstützung organisiert. Am Dienstag soll es ein Vierer-Treffen geben. Neben ihm selbst und Xi werden auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit dabei sein.