Maximal Tempo 130 auf Autobahnen bringt den Verkehrsminister ruckzuck auf 180. «Gegen jeden Menschenverstand», wettert Andreas Scheuer. Mal ganz sachlich: Was würde eine Höchstgeschwindigkeit bringen? Berlin (dpa) – Auf manche Dinge ist in Deutschland Verlass. Sobald jemand eine allgemeine Höchstgeschwindigkeit für Autobahnen fordert, folgen heftigste Abwehrreaktionen. Dass eine Arbeitsgruppe über ein Tempolimit von 130 Kilometern […]

Maximal Tempo 130 auf Autobahnen bringt den Verkehrsminister ruckzuck auf 180. «Gegen jeden Menschenverstand», wettert Andreas Scheuer. Mal ganz sachlich: Was würde eine Höchstgeschwindigkeit bringen?

Berlin (dpa) – Auf manche Dinge ist in Deutschland Verlass. Sobald jemand eine allgemeine Höchstgeschwindigkeit für Autobahnen fordert, folgen heftigste Abwehrreaktionen. Dass eine Arbeitsgruppe über ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde überhaupt nur nachdenkt, reicht auch schon. Nicht nur Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wies das entschieden zurück. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu einem Thema, das polarisiert.

Warum reden wir eigentlich schon wieder über ein Tempolimit?

Seit September gibt es die Kommission «Nationale Plattform Zukunft der Mobilität». Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit Klimaschutz – darin sitzen Vertreter Autobranche, aber auch Umweltverbände. Alle Sektoren, auch der Verkehr, sollen ihren Treibhausgas-Ausstoß senken. In diesem Jahr soll das in einem Klimaschutzgesetz verbindlich werden. Der Verkehr ist ein Klimaschutz-«Sorgenkind», wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mal sagte. Insgesamt lagen die CO2-Emissionen im Verkehr zwei Prozent über dem Stand von 1990. Die Kommission überlegt, was helfen könnte – auch 130 auf Autobahnen ist dabei ein Thema. Vorschläge will die AG aber erst Ende März vorlegen.

Gelten nicht fast überall sowieso schon Höchstgeschwindigkeiten?

Auf dem Großteil der Autobahnen gilt nach wie vor freie Fahrt – also zumindest so schnell, wie es die Verhältnisse zulassen. Komplett ohne Tempolimits sind 70 Prozent der Fahrbahnkilometer, Baustellen nicht mitgezählt. Bei weiteren sechs Prozent zeigen elektronische Schilder bei entspannter Lage nichts dergleichen an. Dauerhaft oder zeitweise geltende Beschränkungen mit Blechschildern gibt es auf 20,8 Prozent des Netzes, wie aktuellste Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen für 2015 zeigen – am häufigsten Tempo 120 (7,8 Prozent) und Tempo 100 (5,6 Prozent). Unabhängig von beschilderten Abschnitten gilt seit mehr als 40 Jahren eine empfohlene «Richtgeschwindigkeit» von 130.

Wie ist die Position der Regierungskoalition zum Tempolimit?

Kanzlerin Merkel hätte die Debatte postwendend austreten können – hat sie aber nicht. Es gehe nun nicht um einzelne Maßnahmen und politische Festlegungen, sondern am Ende ein Gesamtkonzept, ließ sie nur ausrichten. Dass die Union pro Tempolimit schwenkt, wäre aber eine ziemliche Überraschung – im Bundestagswahlprogramm hat sie es eigens ausgeschlossen. CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer zerriss alle Gedankenspiele um ein Limit, das «gegen jeden Menschenverstand» wäre. Die SPD hält sich zunächst bedeckt. Parteivize Ralf Stegner signalisierte nur vorsichtig, zumindest sei es ernsthaft zu erwägen, sofern es einen nachweisbaren Beitrag zum Klimaschutz leisten könne.

Wie sieht es in anderen Ländern mit Tempolimits aus?

Schaut man sich dazu eine EU-Karte an, ist Deutschland ein großer «weißer Fleck»: überall sonst gibt es nach einer ADAC-Übersicht Beschränkungen. Laut Verkehrsclub Deutschland gelten in allen anderen Ländern weltweit, die über ein Autobahnnetz verfügten, allgemeine Tempolimits. In Frankreich, Italien und Österreich etwa gilt ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde, in Spanien und Portugal von 120. Bei Verstößen kann es teuer werden. Eine weltweite Übersicht hat der ADAC nicht. In vielen Bundesstaaten der USA gilt auf Fernstraßen ein Tempolimit von 65 Meilen pro Stunde oder 70 Meilen pro Stunde – das sind umgerechnet 105 beziehungsweise 113 Stundenkilometer.

Bringt ein Tempolimit etwas für den Klimaschutz?

Das Umweltbundesamt (UBA) hat das konkret für Tempo 120 ausgerechnet – allerdings auf Basis von Daten von 1996, neuere hat die Behörde nach eigenen Angaben nicht. Demnach sinken bei einen Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde die CO2-Emissionen der Pkw auf Autobahnen um neun Prozent, wenn 80 Prozent der Autofahrer sich daran halten. Im Jahr könnten so rund drei Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Insgesamt stieß der Bereich Verkehr 2017 fast 168 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus, eine Einheit, in die andere Treibhausgase umgerechnet werden. Ein weiteres Argument von Umweltschützern: Ein Tempolimit könnte dazu führen, dass Autobauer weniger auf schnelle Autos setzen, die viel Sprit fressen.

Macht ein Tempolimit die Autobahnen sicherer?

«Eine der Hauptunfallursachen auf Autobahnen ist zu schnelles Fahren», schreibt das Statistische Bundesamt. Bei mehr als einem Drittel der Autobahnunfälle 2017 sei mindestens ein Beteiligter schneller gefahren als erlaubt oder schneller, als es für Straße oder Wetter angemessen gewesen wäre. 44,3 Prozent der Toten und 41,5 Prozent der Schwerverletzten auf Autobahnen gab es bei solchen «Geschwindigkeitsunfällen». Rund 13 Prozent der Verkehrstoten 2017 starben bei Unfällen auf der Autobahn, allerdings wird fast ein Drittel (31,4 Prozent) der gefahrenen Kilometer auf Autobahnen zurückgelegt.

Was bedeutet ein Tempolimit für den Verkehrsfluss?

Befürworter argumentieren, ein Tempolimit sorge für gleichmäßigere Fahrtgeschwindigkeiten mit weniger Bremsmanövern und Spurwechseln auf viel befahrenen Straßen, und vermindere so das Risiko von Staus. «Je höher die gefahrene Geschwindigkeit und je höher die Geschwindigkeitsdifferenzen sind, desto stärker treten Störungen des Verkehrsflusses auf – bis hin zu dem sogenannten «Stau aus dem Nichts»», erklärt etwa Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland.