Der Job bringt auch erfahrene Kriminalexperten an ihre Grenzen. Sie müssen Hunderte Leichenteile bergen – und dann den 150 Toten zuordnen. Die Aufarbeitung des Germanwings-Absturzes in Frankreich ist auf vielen Ebenen eine Belastungsprobe. Seyne-les-Alpes (dpa) – Sie tragen weiße Schutzanzüge, Mundschutz und Handschuhe, ihr Haar steckt unter grünen Hauben. Ihre Arbeit ist heikel. Rund drei […]

Der Job bringt auch erfahrene Kriminalexperten an ihre Grenzen. Sie müssen Hunderte Leichenteile bergen – und dann den 150 Toten zuordnen. Die Aufarbeitung des Germanwings-Absturzes in Frankreich ist auf vielen Ebenen eine Belastungsprobe.

Seyne-les-Alpes (dpa) – Sie tragen weiße Schutzanzüge, Mundschutz und Handschuhe, ihr Haar steckt unter grünen Hauben. Ihre Arbeit ist heikel. Rund drei Dutzend Fachleute arbeiten nach dem Germanwings-Absturz in einer eilig eingerichtete Einsatzstelle in Seyne-les-Alpes in den französischen Alpen an der Identifizierung der Opfer. Auch ein Spezialist vom Bundeskriminalamt (BKA) ist dabei.

Ihre Kollegen sind ein paar Hundert Meter höher an gefährlich steilen Hängen unterwegs, um die sterblichen Überreste der 150 Menschen zu bergen, die in dem Flugzeug waren. Luftbilder der Absturzstelle lassen die Schwierigkeiten nur erahnen. Weit verstreut liegen weiße Trümmerteile in dem unzugänglichen Gelände, das sich nach unterschiedlichen Angaben über zwei bis fast vier Hektar erstreckt, mit Höhenunterschieden von 150 bis 200 Metern.

Teams von Experten ordnen schon an der Absturzstelle Leichenteile zu, markieren die Fundorte mit Fähnchen und registrieren sie auf der Karte.

Hunderte Leichenteile wurden in den ersten Tagen von den Mannschaften per Helikopter bereits zu Tal gebracht. Wie viele noch oben zwischen Felsen und Geröll liegen – Patrick Touron zuckt die Schultern. Niemand kann das momentan sagen.

Touron ist stellvertretender Leiter des Instituts für kriminaltechnische Untersuchungen der französischen Gendarmerie. Der Einsatz in Seyne-les-Alpes ist auch für ihn und seine Leute außergewöhnlich und extrem belastend. Manchmal brauchen auch die Helfer Hilfe. «Es gibt eine psychologische Betreuung», sagt Touron.

Die Berichte über die mögliche Rolle des Copiloten machen die Arbeit keineswegs leichter. Auch wenn weiter ein technischer Defekt nicht ausgeschlossen werden kann: Die Nachricht, dass der Copilot die Gegend kannte und früher mit seinen Eltern am Flugplatz von Sisteron gut 40 Kilometer westlich zu Gast war, sorgt in der Region für Gänsehaut.

Bei der Identifizierung der Opfer nutzen die Rechtsmediziner auch Daten aus den Heimatländern der Opfer, Informationen von Zahnärzten und Röntgenbilder. Mitglieder der Crew könnten manchmal an Resten der Uniform zu erkennen sein, sagt Touron. Schmuckstücke, Eheringe und Uhren können Aufschluss geben.

Ein wichtiges Mittel sind DNA-Analysen und Vergleiche mit Angehörigen. Touron spricht von einem Abgleich von Post-Mortem- und Ante-Mortem-Daten. Familienmitglieder passierten vor einigen Tagen auf dem Weg ins Unglücksgebiet Marseille, dort sitzt die ermittelnde Staatsanwaltschaft. Sie gaben Haar- und Speichelproben ab, damit die Rechtsmediziner Übereinstimmungen herausfiltern können.

«Ne pas ouvrir – analyse en cours» – «Nicht öffnen – Analyse in Arbeit» steht auf einem Zettel an einem blauen Gendarmeriewagen. Gewebeproben der Opfer werden in braunen Umschlägen weitergesendet. Am Ende müssen die Leichenteile den Opfern zugeordnet werden – auch das wird noch einmal eine schwierige und belastende Aufgabe.

«Wir arbeiten so schnell wie möglich», sagt Touron. «Wir setzen alles daran, um jeder Familie ihre Angehörigen zurückzugeben.» Wann das sein wird, lässt er offen.

Zum einen ist die Freigabe der Leichen für die Bestattung Sache der Staatsanwaltschaft. Zum anderen ist die Bergung an der Absturzstelle noch lange nicht abgeschlossen. «Die großen Schwierigkeiten haben die Leute, die vor Ort sind», sagt Touron. Das Gelände ist schwer zugänglich, die Suche ist gefährlich. «Es ist steil und rutschig», schildert der Chef der Bergrettungskräfte, Olivier Cousin. Seine Leute sichern die Fachleute bei der gefährlichen Arbeit am Seil. Teils sind die Seilschaften mit Steigeisen und Eispickel unterwegs. Das bringt mehr Halt, auch wenn es dort oben kein Eis gibt.

Und es gibt eine weitere Unbekannte: das Wetter. Bisher herrschten perfekte Bedingungen für die Helikopterflüge: Sonne, wenig Wind. Aber wenn Regen, Schnee und Sturm kommen, könnten die Helikopter, die täglich Dutzende Helfer auf den Berg bringen, nicht mehr starten, sagt David Girodet, er ist verantwortlich für die Einsätze der Gendarmeriehubschrauber und den sicheren Ablauf der Flüge. Girodet fürchtet vor allem den Schnee – «weil die Wolken dann tief hängen». Und dann ist es zu gefährlich für Flüge in den zerklüfteten Gebirgszug.