Berlin, 28. Juni 2017 Mehr als zwei Jahre lang waren die Hangars im stillgelegten Berliner Flughafen Tempelhof eine Notunterkunft für Tausende Flüchtlinge. Ein Dokumentarfilm zeichnet das Leben in dieser ganz eigenen Welt nach. Monumental, geheimnisvoll und voller Narben: Der Flughafen Tempelhof liegt wie ein offenes Geschichtsbuch mitten in Berlin. Einst gebaut als eines von Hitlers […]

Berlin, 28. Juni 2017

Mehr als zwei Jahre lang waren die Hangars im stillgelegten Berliner Flughafen Tempelhof eine Notunterkunft für Tausende Flüchtlinge. Ein Dokumentarfilm zeichnet das Leben in dieser ganz eigenen Welt nach.

Monumental, geheimnisvoll und voller Narben: Der Flughafen Tempelhof liegt wie ein offenes Geschichtsbuch mitten in Berlin. Einst gebaut als eines von Hitlers Prestigeobjekten, dienten das riesige Gebäude und sein Gelände in dunklen Zeiten als Konzentrationslager, Waffenschmiede und Bunker. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlangte der Flughafen als Dreh- und Angelpunkt der Luftbrücke Berühmtheit. Bis zur Schließung vor zehn Jahren war er ein ziviler Flugplatz, Kürzel THF. 2015 ist ein neues Kapitel hinzugekommen, das der brasilianisch-algerische Regisseur Karim Aïnouz in seinem Dokumentarfilm «Zentralflughafen THF» festhält: Mehr als zwei Jahre lang gab es hier Berlins größte Notunterkunft für Flüchtlinge – eine Parallelwelt.

«Hangar» – das war eines der ersten deutschen Worte, das viele Flüchtlinge in der Hauptstadt lernten. Hangar, das stand für ihr neues Leben. Eine Batterie von weißen Boxen mit Stockbetten, nach oben offen, unter dem Flutlicht riesiger Hallen für Flugzeuge. So mancher Flüchtling bekam hier sofort Angst, mit den Oldtimer-Maschinen auf dem Vorfeld in die Heimat abgeschoben zu werden. Es sind aber nur Museumsstücke.

Tempelhof, das hieß: Kaum Privatsphäre, ein Sammelpunkt für Hunderte, manchmal Tausende Menschen aus vielen Nationen. Wer hier zu Gast war, um Deutsch zu unterrichten oder Kleidung zu spenden, verließ diesen Ort oft mit einem beklemmenden Gefühl. Ein Lager mitten in der Stadt – und doch von der die Stadt kaum bemerkt. Eine Parallelwelt mit Zugangskontrollen wie am echten Airport. Kann man hier in Deutschland ankommen, in diesem Gebäudeklotz, der wie ein Sperrriegel zwischen dem Kreuzberger Szenekiez und der grünen Oase Tempelhofer Feld liegt?

Es ist Aïnouz‘ Verdienst, mit der Kamera Antworten auf diese Frage zu suchen. Ein Jahr lang hat er in den Hangars gefilmt. Sein Protagonist heißt Ibrahim Al Hussein, ein junger Syrer. An seinem 18. Geburtstag kommt er in den Hangars an. Die Zeit, die Monate, die für ihn verstreichen, ist die chronologische Achse der Dokumentation. Die Erzählungen, die Szenen, müssen sich die Zuschauer dagegen wie ein Puzzle zu einem Bild zusammensetzen.

Auf den ersten Blick kann «Zentralflughafen THF» langweilig wirken und die Geduld strapazieren. Doch genau das ist das Gefühl, das viele Flüchtlinge hier haben. Sechs Wochen sollen sie in den Hangars leben, für viele wird es mehr als ein Jahr. Die Masse der Ankommenden überfordert die Behörden, die Anerkennungsverfahren ziehen sich hin. Junge Männer wie Ibrahim hängen ab, die Angst vor Abschiebung und der Frust der Warterei zermürben. Die Sprach- und Verständigungsprobleme, die kulturellen Unterschiede, sie können wie Mauern sein, dicker als die Hangarwände. Für alle, für Flüchtlinge und Helfer.

Ibrahim bleibt Optimist. In seiner Zeit in Tempelhof lernt der junge Mann, der seine Geschichte auf Arabisch erzählt, gut Deutsch. Doch das erfahren die Zuschauer nur in einer kurzen Szene. Ibrahim verschwindet aus dem Blickfeld, sobald er die ersehnte Aufenthaltserlaubnis bekommt. Seine Zukunft bleibt in der Luft hängen – das Schicksal vieler Flüchtlinge.

Wie viele Hoffnungen in Tempelhof zerbrechen, zeigt der Film nicht. Die Kamera will nicht ganz nah heran an die Menschen in den Hangars. Auch nicht an die Helfer. Wie es sich anfühlt, einer Gruppe afghanischer Männer als Laien-Lehrer das Alphabet beizubringen, bleibt außen vor. Der Regisseur beobachtet, er fragt nicht nach. Er füllt Stille mit melancholischen Bildern, die das Flughafengelände im Wandel der Jahreszeiten zeigen.

Es ist die Stärke des Films, die Parallelwelten Hauptstadt und Hangars immer wieder gegeneinander zu schneiden. Auf dem Tempelhofer Feld, das vom Flugplatz zum Park wurde, gärtnern Ökos und skaten die Berliner als ob sich nichts verändert hätte. Die Welten trennt ein weißer Zaun.

Heute sind die Hangars weitgehend leer. Flüchtlinge leben noch bis 2019 mit etwas mehr Privatsphäre in Containern auf dem Vorfeld, nur das Ankunftszentrum ist noch im Haus. Das Flughafengebäude Tempelhof, das sich mit seinem Monumentalcharme bislang nur auf Führungen präsentiert, will sich in den kommenden Jahren Schritt für Schritt zur Stadt hin öffnen – unter anderem mit kulturellen Veranstaltungen in den Hangars und einer Dachterrasse samt Ausstellungen zur wechselvollen Geschichte. Wieder ein neues Kapitel.

Ulrike von Leszczynski, dpa