Rom, 17. April 2019 Italiens einstige Staatsfluggesellschaft Alitalia steckt seit Jahren in den roten Zahlen. Ende April läuft eine neue Frist zur Rettung aus – wenige Wochen vor der Europawahl. Für Giulio Andreotti, Italiens berühmtesten Nachkriegspolitiker und siebenmaligen Ministerpräsidenten, war die Sache klar: «Es gibt zwei Arten von Verrückten auf der Welt: Solche, die denken, […]

Rom, 17. April 2019

Italiens einstige Staatsfluggesellschaft Alitalia steckt seit Jahren in den roten Zahlen. Ende April läuft eine neue Frist zur Rettung aus – wenige Wochen vor der Europawahl.

Für Giulio Andreotti, Italiens berühmtesten Nachkriegspolitiker und siebenmaligen Ministerpräsidenten, war die Sache klar: «Es gibt zwei Arten von Verrückten auf der Welt: Solche, die denken, sie seien Napoleon, und solche, die glauben, sie könnten die Staatsbahn wieder fitmachen.» Viele Italiener meinen allerdings, die Worte des 2013 Verstorbenen ließen sich besser auf die gebeutelte Fluggesellschaft Alitalia anwenden – sie schreibt seit Jahrzehnten Verluste. Diverse Rettungsversuche scheiterten, und ein Sanierungskonzept von Interessent Lufthansa fiel als zu harsch durch.

Anfang Mai 2017 meldete die einst staatliche Airline Insolvenz an. Seitdem kann sie nur dank Staatskrediten von mittlerweile 900 Millionen Euro ihren Flugbetrieb aufrechterhalten. Diese Staatshilfe war zunächst nur als vorübergehender Rettungsanker gedacht, doch Italiens Regierung musste die Kreditlinie immer wieder verlängern. Die staatlich ernannten Konkursverwalter wollten die Finanzen der Airline wieder in Ordnung bringen und zugleich einen Kandidaten für eine Übernahme zu finden. Am 30. April läuft nun eine neue Frist dafür aus.

Dabei gab es durchaus Zeiten, in denen es der Fluggesellschaft gut ging. «Alitalia war in den 1970er und 1980er Jahren rentabel, aber in einem geschützten monopolistischen Markt», sagt Luftfahrtexperte Andrea Giuricin der Deutschen Presse-Agentur. «Seitdem der Markt für den Wettbewerb geöffnet wurde, hat Alitalia immer Geld verloren.» Seit 2007 stand die Fluggesellschaft dreimal vor der Pleite. Nach den ersten beiden Krisen versuchten Air France-KLM und Etihad, das Unternehmen zu sanieren, scheiterten aber.

Angesichts mangelnder Interessenten lautet die Devise der italienischen Regierung mittlerweile, eine staatlich gestützte Lösung für Alitalia zu finden. Vize-Regierungschef und Industrieminister Luigi Di Maio wählte die staatliche Eisenbahngesellschaft Ferrovie dello Stato (FS) aus, sich Alitalia anzunehmen. Immerhin hat sich FS – trotz Andreottis Skepsis – im Laufe der Jahre zu einem profitablen Unternehmen entwickelt. Doch die Gesellschaft kann die Last nicht alleine schultern und tut sich zudem schwer, Partner zu finden.

FS könnte nun für 30 Prozent des Alitalia-Kapitals bieten. Weitere 15 Prozent könnten vom Wirtschaftsministerium übernommen werden – die Staatskredite würden damit teilweise in Form von Aktien zurückgezahlt und der Staat Aktionär. Die US-Fluglinie Delta soll Berichten zufolge an weiteren 15 Prozent Interesse haben. Doch für die übrigen 40 Prozent des Kapitals ist kein Käufer in Sicht.

In der italienischen Presse gibt es Spekulationen, die Benetton-Familie stehe unter Druck, in die Bresche zu springen – obwohl die Regierung ihr zuvor die Verantwortung an dem Kollaps der Brücke in Genua im August 2018 mit 43 Toten gegeben hatte. Neben der Modemarke kontrolliert Benetton unter anderem die beiden Römer Flughäfen und Autobahnen.

Trotz des heranrückenden Fristendes herrscht in Rom gewisser Optimismus. «Ich glaube, wir werden in den kommenden Tagen gute Nachrichten haben», sagte Di Maio, der auch Chef der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung ist, vergangene Woche. «Ich hoffe, ich werde der letzte Minister sein, der mit der Krise um Alitalia zu tun hat.»

Eine weitere Verlängerung über den 30. April hinaus scheint aber nicht ausgeschlossen. Alitalia muss auf jeden Fall – wie von den EU-Wettbewerbsbehörden gefordert – die Staatskredite zurückzahlen. Und sie muss irgendwann aus dem Konkursverfahren herauskommen. Falls sich nicht bald ein Käufer finde, «müssen wir ein Insolvenzverfahren eröffnen», machte einer der drei Konkursverwalter, Daniele Discepolo, im März den Abgeordneten im Parlament bei einer Anhörung klar.

In ihrer mehr als 70-jährigen Geschichte hat die Airline unter Missmanagement, politischer Einmischung und militanten Gewerkschaften gelitten. In jüngerer Zeit setzten dem einstigen Staatsstolz auch die Billigflieger und Hochgeschwindigkeitszüge in seinem Heimatmarkt zu. Die derzeitigen Verwalter haben es inzwischen geschafft, die Gesellschaft etwas effizienter zu machen. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) senkten sie 2018 auf minus 154 Millionen Euro. Im Jahr 2016 waren es noch minus 410 Millionen Euro.

Doch nach wie vor verbrennt Alitalia soviel Geld wie keine andere europäische Fluggesellschaft. Luftfahrtexperte Giuricin schätzt, dass etwa zwei Milliarden Euro investiert werden müssten, um eine ernsthafte Kehrtwende zu schaffen. Vor allem neue Flugzeuge und mehr rentable Langstrecken seien nötig.

Claudio Tarlazzi, der Chef der Gewerkschaft UILTrasporti, bevorzugt eine voll verstaatlichte Alitalia oder eine solide Partnerschaft mit Delta. Den Lufthansa-Vorstoß lehnte der Gewerkschaftler seinerzeit ab, weil er den Verlust von Arbeitsplätzen unter den etwa 11 000 Mitarbeitern fürchtete. Er glaubt, dass es nach Fristablauf auch diesmal keine Entscheidung gibt – so kurz vor der Europawahl im Mai seien die Regierungsparteien zu sehr darauf bedacht, keine harte Entscheidung zu treffen. «Ich hoffe, ich liege damit falsch», gibt er zu bedenken: «Denn je eher wir eine Lösung für Alitalia finden, desto besser für alle.»

Alvise Armellini, dpa