New York, 12. Januar 2018 Wie überdimensionale Insekten schwirren Helikopter über der Skyline New Yorks. Das für Touristen oft unvergessliche Erlebnis wird für manche Anwohner zur Tortur. Nach reichlich Streit um Fluglärm dürfen die Maschinen nur noch halb so oft starten – und die Branche ächzt. Es ist ein strahlend blauer Morgen, als Vadim Vagopow […]

New York, 12. Januar 2018

Wie überdimensionale Insekten schwirren Helikopter über der Skyline New Yorks. Das für Touristen oft unvergessliche Erlebnis wird für manche Anwohner zur Tortur. Nach reichlich Streit um Fluglärm dürfen die Maschinen nur noch halb so oft starten – und die Branche ächzt.

Es ist ein strahlend blauer Morgen, als Vadim Vagopow seine Hand um den Steuerknüppel legt und seinen Helikopter so mühelos in die Luft über New York steigen lässt, als sei das tonnenschwere Stahlgefährt eine Libelle. Die Uferpromenade, die gläsernen Bürotürme, die Brooklyn Bridge – all das lässt Vagopow hinter sich verschwinden, als er mit einem Rechtsdrift über den East River aufsteigt und über die New Yorker Bucht hinweg schwebt. Minuten später ist unter ihm die Freiheitsstatue zu erkennen – Lady Liberty als kleine, hellgrüne Schachfigur.

Für Tausende Besucher gehört ein Rundflug über der Millionenstadt zum Pflichtprogramm, für einige werden die Minuten über Manhattan zum Höhepunkt. Aber die Touren lassen Anwohner stöhnen, deren Balkons und Terrassen entlang der Flugroute liegen. John Dellaportas, Leiter der Bürgerinitiative „Stop the Chop“, spricht von einer „konstanten Flut nicht endender Lärmbelästigung“. Der Streit der Mieter und Wohnungseigentümer mit Touranbietern schwelt seit Jahren.

Bürgermeister Bill de Blasio steckt dabei in der Klemme. Einerseits muss er die New Yorker vor Lärm schützen, andererseits kann er die 50 Millionen Dollar (42 Mio Euro) Wirtschaftseinnahmen, die die Flüge nach Betreiberangaben jährlich bringen, schlecht von der Hand weisen. So wurde die Einigung der Stadt mit Tourbetreibern ein Mittelweg: Die Zahl der ursprünglich 60 000 Flüge pro Jahr wurde halbiert und ein Flugverbot an Sonntagen eingeführt. „Jeder hat für dieses Ergebnis etwas aufgeben müssen“, sagte de Blasio zu der Einigung Anfang 2016, „aber die Lösung wird eine lebenswertere Stadt für alle bedeuten.“

Doch für Dellaportas und die Gruppe „Stop the Chop“, die in New York und im benachbarten New Jersey rund 2000 Mitglieder zählt, ist das „Augenwischerei“. Die im vergangenen Jahr erlaubten 30 000 touristischen Flüge bedeuten für einen Bewohner in Nähe des Hudson River, über den die Flugroute führt, immer noch mehr als 60 000 Vorbeiflüge. Auf die 313 Flugtage des laufenden Jahres gerechnet sind das im Durchschnitt 192 Vorbeiflüge am Tag – bei rund zehn Arbeitsstunden ein Vorbeiflug alle drei Minuten. Für das ewige „Fappfappfappfapp“ der Rotoren hat die Stadt längst eine eigene Beschwerde-Website eingerichtet.

Aber sollten Bürger einer Weltstadt mit 8,5 Millionen Einwohnern einen gewissen Geräuschpegel nicht auch hinnehmen müssen?  „Es gibt sowieso viel Lärm“, sagte Hanne Carlsen, die mit ihrer Familie aus Dänemark angereist ist und gerade eine Heli-Tour beendet hat. „Autos, Verkehr, Bauarbeiter – wir sehen den Unterschied nicht“, sagt sie. Maria Fatima Gallo aus Mailand beschreibt den Flug als „bestes Erlebnis in New York“. Sie schwärmt von den „Dimensionen“, der „Farbe“, der „Natur“ aus Vogelperspektive.

Und überhaupt gingen die mehr als 970 Lärmbeschwerden, die die Stadt wegen Helikopter-Lärm 2017 bis Anfang November verzeichnete, vor allem auf das Konto anderer, sagt Sam Goldstein. Er vertritt den Branchenverband Helicopter Tourism & Jobs Council und beharrt darauf, dass vor allem private Charterflüge und Maschinen von Krankenhäusern, Polizei und TV-Sendern für das ewige Knattern in Anwohnernähe verantwortlich seien. „Dieses Jahr waren unsere Flüge zu null Prozent außerhalb der gesetzlichen Auflagen“, sagt Goldstein.

Umsatzzahlen veröffentlichen die Betreiber nicht, aber einige dürften ihre Preise nach Halbierung der erlaubten Flüge erhöht haben, sagt Goldstein. „Der Markt verträgt nur einen bestimmten Preis“. Nachdem sie nicht mehr – wie einst – über dem East River und auch nicht über Land fliegen dürfen, sei das Geschäft «sehr schwierig» geworden, sagt Goldstein. Außerdem drängen sich mehrere Betreiber heute auf dem einzigen noch genehmigten Start- und Landeplatz in Südmanhattan.

Wer die umgerechnet rund 180 Euro für einen knapp 15-minütigen Flug hinblättert, dürfte all das wenig kümmern. Hoch über dem Hudson hören Passagiere Funksprüche in rund 600 Metern Höhe mit, während Piloten wie Vagopow Sehenswürdigkeiten zeigen. World Trade Center, Empire State, Chrysler Building – die architektonischen Fixpunkte der Skyline bekommen aus der Höhe noch einen ganz anderen Glanz, als wenn man sie aus der Nähe bestaunt.

Als Vagopow seinen Eurocopter „AS 350 B2“ auf den Landeplatz gesetzt hat, stehen die nächsten Passagiere schon Schlange. Vagopow – mit Kopfhörer, Sonnenbrille und Pilotenuniform schon wieder startklar – hebt zum Abschied den Daumen und grinst.

Johannes Schmitt-Tegge, dpa