Chicago/Seattle, 19. März 2019 Jahrelang kannte die Karriere von Boeing-Chef Dennis Muilenburg nur eine Richtung: steil nach oben. Doch zwei Flugzeugabstürze in nur einem halben Jahr verändern alles. Der erfolgsverwöhnte Boss ist jetzt als Krisenmanager gefordert – und macht dabei keine gute Figur. Eigentlich hätte es für Dennis Muilenburg kaum besser laufen können. Im Juli […]

Chicago/Seattle, 19. März 2019

Jahrelang kannte die Karriere von Boeing-Chef Dennis Muilenburg nur eine Richtung: steil nach oben. Doch zwei Flugzeugabstürze in nur einem halben Jahr verändern alles. Der erfolgsverwöhnte Boss ist jetzt als Krisenmanager gefordert – und macht dabei keine gute Figur.

Eigentlich hätte es für Dennis Muilenburg kaum besser laufen können. Im Juli 2015 wurde er zum Chef des Luft- und Raumfahrtriesen Boeing befördert – ein enormer Karriereschritt für den als Mittfünfziger noch relativen jungen US-Topmanager. Dank des boomenden Flugverkehrs erlebte Boeing unter seiner Führung beeindruckende Erfolge: 2018 knackte der Konzern beim Umsatz erstmals in seiner über hundertjährigen Geschichte die Marke von 100 Milliarden Dollar. Der Aktienkurs von Boeing verdreifachte sich in Muilenburgs kurzer Amtszeit auf über 200 Milliarden Dollar.

Doch seit zwei tödlichen Abstürzen baugleicher und fast nagelneuer Flieger aus Boeings meistverkaufter Baureihe 737 Max ist alles anders. Der Konzernchef ist nun als Krisenmanager gefordert und steht selbst massiv in der Kritik. Nachdem binnen fünf Monaten zwei 737-Max- 8-Jets in Indonesien und Äthiopien abgestürzt und 346 Menschen dabei ums Leben gekommen sind, gelten fast weltweit Flugverbote für die Maschinen. Der Flugzeugtyp, der gestern noch Umsatztreiber und Ertragsbringer war, wird in den Medien heute als «Unglücksflieger», «Krisenflieger» oder «Todesflieger» bezeichnet.

All das ist ohnehin schon ein Image-Desaster, erschwerend kommt jedoch hinzu, dass Muilenburgs Umgang damit alles andere als souverän wirkt. Statt aufzuklären, liefert Boeing lediglich kurze Statements, die als Reaktion auf neue Entwicklungen auf der Website erscheinen und nicht – wie sonst bei Mitteilungen des Konzerns üblich – über den Presseverteiler laufen. Zwar sprechen Boeing und Muilenburg den Angehörigen der Todesopfer darin ihre Anteilnahme aus, doch es sind vor allem formale Sätze, wie dass der Konzern die Unfallermittlungen weiter unterstütze und mit den Behörden zusammenarbeite.

In den US-Medien kommt Muilenburg damit nicht gut weg. Die Stellungnahmen schienen, als ob sie «von einem Ingenieur und einem Anwalt zusammen geschrieben worden wären», kritisierte Experte Erik Bernstein von der PR-Agentur Bernstein Crisis Management im Magazin «Bloomberg Businessweek». Angesichts der Dimension von Boeings Krise müsse Muilenburg häufiger die Stimme erheben, forderte Susan Tellem von der Firma Tellem Grody Public Relations im «Wall Street Journal». PR-Professor Lawrence Parnell von der George Washington University sieht es ähnlich: «Immer mehr Menschen erwarten, dass der Chef vortritt, Verantwortung übernimmt und erklärt, wie es weitergeht.»

Muilenburg wird vor allem eine kontroverse Aktion vorgeworfen. Als nach dem Boeing-Absturz in Äthiopien Länder weltweit Startverbote erteilten und ihre Lufträume für die 737 Max 8 sperrten, wandte sich der Boeing-Chef nicht an die Öffentlichkeit, sondern – so zumindest berichteten es etliche US-Medien übereinstimmend – an Präsident Donald Trump. In einem Telefonat soll Muilenburg unter anderem versucht haben, Trump davon abzubringen, dass auch die USA verfügen, Boeings Jets am Boden zu lassen. Es brachte nicht viel, der internationale Druck war so groß, dass einen Tag später auch die USA entschieden, dass die Flieger vorerst nicht mehr starten dürfen.

Die Empörung über das Telefonat war trotzdem groß, besonders in den sozialen Medien, wo etliche Nutzer ihrem Ärger Luft machten. Es scheint, als liege dem bislang so erfolgsverwöhnten Muilenburg die Rolle des Krisenkommunikators nicht. Der hoch aufgeschossene 55-Jährige mit dem blonden Kurzhaarschnitt und dem strahlenden Lächeln versprühte bisher eigentlich stets Zackigkeit und Machertum – nun ist er plötzlich auf Tauchstation.

Am Montag versuchte es Muilenburg mit einem Brief an Passagiere und die ganze Branche, in dem er sich um mehr Empathie bemühte. Der «tragische Verlust» der beiden Flugzeuge berühre «uns alle, verbindet Völker und Nationen im gemeinsamen Leid mit allen, die trauern». Und: «Wir wissen, dass Leben von der Arbeit abhängen, die wir machen.»

Das Vertrauen von Fluggesellschaften und Fluggästen zurückzugewinnen, ist jetzt die große Aufgabe, vor der Muilenburg steht. Die Boeing-Krise ist ihm nach Meinung der meisten Experten nur begrenzt zuzuschreiben. Denn es war Muilenburgs Vorgänger Jim McNerney, der 2011 die kostensparende Entscheidung traf, die in die Jahre gekommene 737 zu überarbeiten, statt sie durch eine neue Konstruktion zu ersetzen. Möglicherweise war es eine verheerende Entscheidung.

Hannes Breustedt, dpa